Die Schatten schlafen nur
Kriegswirren! Vater hat so oft davon erzählt, wie man alles zurückgelassen hat, geflüchtet ist, froh war, wenn man sein nacktes Leben retten konnte.«
»Ja«, sagte Astrid und trat vom Bett zurück. »Es ist schon in Ordnung.«
Von Bahlow war eingeschlafen.
Gegen den Kotflügel von Toppes Wagen gelehnt, stand Ackermann und summte vor sich hin. Was er hier mache? Sich das Dorf anschauen! Schließlich sei er der Einzige, der sich hier noch nicht umgeguckt habe, und das ginge so nicht. Außerdem müsse er mal raus aus dem Archiv, sonst riskiere er eine Staublunge. Er habe sehen wollen, wie der Kaiser von Nierswalde so residierte, und dabei Toppes Auto entdeckt. »Gibbet wat Neues?«
Er hörte sich den ›Paukenschlag‹ gespannt an und reagierte für seine Verhältnisse moderat. »Boah! Dat wird ja immer besser! Den kriegen wer noch bei de Hammelbeine, glaubt et mir. Ich hab dat im Urin.«
Eigentlich war er auf dem Weg zur Baustelle, wo gerade der Dachstuhl montiert wurde.
»Ich wollt ma’ ’n bisken mit de Arbeiters plaudern, von wegen Vandalen un’ so. Un’ dann will ich auch noch diesen Menschenfreund kennen lernen, ihr wisst schon, den Billiganwalt.« Er kniff ihnen in bewährter Manier ein Auge und schickte sich an zu gehen. »Volles Programm heut bis inne Nacht«, meinte er noch. Seine Frau würde ihn abends hier treffen und dann wollten sie in von Bahlows Restaurant »lecker essen gehen«.
»Die Mutti immer schön bei Laune halten, dat is meine Devise. Die macht schon genug mit bei unsern Job.«
»Was gibt es, Arend?«
Der Diensthabende an der Wache hatte Toppe einen Zettel zugeschoben: Pathologie zurückrufen.
»Helmut? Das ging aber schnell! Ich bin in einer etwas dummen Lage mit der Dame, die ihr mir gestern geschickt habt. An der rechten Innenhand habe ich zwei Stellen gefunden, die mir sehr nach Strommarken aussehen.«
»Ein Stromschlag!« Toppes Herz klopfte laut. »Durch was?«
»Könnte sich um ein Kabel gehandelt haben. Und ich sage bewusst ›könnte‹, denn genau da liegt das Problem. Du weißt, in welchem Zustand der Leichnam ist. Ich kann nur eine Vermutung äußern, aber ich kann mich nicht hundertprozentig festlegen. Es tut mir wirklich Leid, Helmut.«
»Das heißt, vor Gericht würde dein Gutachten nicht durchkommen.«
»Mit Sicherheit nicht.«
Toppe fluchte. »Dank dir trotzdem«, besann er sich. »Eine andere Frage: Wenn ich dir eine Waffe bringe, könntet ihr feststellen, ob es diejenige ist, mit der Opitz getötet wurde?«
»Schwierig. aber wenn ich die dazu passende Munition hätte, die gleiche, die bei Opitz benutzt worden ist, dann wäre es vielleicht möglich.«
Astrid hatte den PC eingeschaltet und saß kopfschüttelnd davor.
»Peter hat noch nichts Neues geschickt, nur die Gesprächsprotokolle aus Koszalin. Die musst du mal lesen. Mein Gott, war dieser Konstantin ein Schwein! Da wird einem ganz schlecht.«
Toppe beugte sich über ihre Schulter und überflog den Text. »Lass uns nach Hause fahren.«
»Es ist doch noch nicht mal ein Uhr! Was ist denn?«
»Ich muss hier raus.«
Zu Hause war niemand, alles ausgestorben.
Während Astrid Kakao kochte und Brote strich, brütete Toppe vor sich hin. Eine tolle Wohngemeinschaft war das! Im Grunde lief es doch wieder auf die alte Geschichte hinaus: Papa – Mama – Kind und Tagesvater. Großartig!
Gabi lieferte nur noch Gastauftritte, brachte manchmal Henry mit, aber ihr Zuhause war das hier offenbar nicht mehr. Und Oliver kriegte man auch nur zu Gesicht, wenn er seine dreckige Wäsche brachte oder den Kühlschrank plünderte, ansonsten hielt er sich bei seiner ziemlich dummen Freundin Stefanie auf. Christian lebte in Köln mit Clara zusammen, die genauso verquer war wie sein Sohn. Die dümpelten da vor sich hin, studierten mal dies, mal das, jobbten irgendwo. Trotzdem erwartete der junge Mann ganz selbstverständlich den monatlichen Scheck von seinen Eltern. In der Regel ließ er sich nur zu Weihnachten blicken, schlug sich dann drei Tage lang den Bauch voll und verschwand wieder.
Den größten Teil der Zeit stand das halbe Haus leer und verschlang jeden Monat Unsummen. Der so heißherzig angelegte Gemüsegarten verwilderte, die beiden Schafe und die Hühner waren nur noch lästig.
Man sollte den Tatsachen ins Auge sehen und endlich Nägel mit Köpfen machen: den Hof verkaufen, dann konnte jeder seiner Wege gehen. Aber bei der Vorstellung, wieder mit Wohnzimmer, Schlafzimmer, Kinderzimmer anzufangen, wurde
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