Die Schatten von La Rochelle
Rücksicht neh m en müssen, werden wir viel stärker sein. Und wir haben dann m e hr Nahrung für alle, die noch in der Stadt sind.«
Die Logik, die in diesen W orten l a g, begriff er, aber er sah auch den Fehler, den sie enthielt.
»Und was verrät Euch, wie die Ka t holiken s ie e m pfangen werde n ? Eine Ar m ee, die seit v i elen Monaten keine Frauen m ehr gesehen hat? Bei Gott, Monsieur le Maire, m eine Ge m ahlin werde ich so e i ner Gefahr nicht aussetzen.«
Jacqueline und sein Sohn waren nicht unter den Frauen, die La Rochelle verlassen m ußten, doch Paul vergaß den Anblick nie. Die zitternde Menge wurde von den königlichen Soldaten m it gezückten Schwertern und Hellebarden in die belagerte Stadt zurückgetrieben.
»Befehl des Kardinals«, berichtete s e ine Schwie g er m utter sc h luchzend. »Sie haben gesagt, entweder die ganze Stadt ergibt sich, oder sie ergibt sich nicht. Teilen d e r Bevölkerung werde kein Pardon gewährt.«
Nun wußte er m it Sicherheit, daß es auch für Jacqueli n e u n d das Kind keinen anderen Ausweg gab, als die Belagerung durchzustehen.
Und er hatte einen neuen Grund ge f unden, für den Sieg zu kä m p fen. Sein Haß a u f Richelieu, der für ihn b i sher n ur d i e etwas b l as s e Sy m bolfigur einer königlich-katholischen Tyrannei gewesen war, die er sich nicht näher vorstellen konnte, wurde von einem allge m einen Gefühl zu einer auflodernden Flamme.
27. KAPITEL
Die erste offizielle Aufforderung zur Kapitulation seit einem Jahr erfolgte im Juli, und Guiton verlas sie öffentlich. Sein ausgezehrtes Gesicht war noch ein m al von der Energie erfüllt, die ihn früher ständig ausgezeichnet hatte.
»Denkt daran, wofür w i r kä m p fen, Brüder und Schwestern«, beschwor er seine Mitbürger. Er deutete auf eine Schildwac h e auf der Stadt m auer. »Seht Ihr diesen Mann dort? Er leidet Hunger und tausend Entbehrungen, wie ihr alle, weil er das Abend m ahl unter beiderlei Gest a lt n eh m en will, während andere ihn daran hind er n wollen. Ist dies nicht ein würdiger S treitpunkt, um ganz Frankreich zu erschüttern? Ich weiß, daß bereits v i ele von uns gestorben sind, aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Die E ngländer werden z u rückkehren. Und diejenigen, die vorher sterben, können sich sagen, daß sie für die Sache aller gestorben sind, für die Sache Gottes, die Sache der F r eiheit. Diejenigen, die uns verraten haben und sich jetzt auf der an de ren Seite der Sta d t m auern befinden, leben vielleicht länger, aber selbst ihre neuen Herren verachten sie, und wenn sie sterben, dann werden ihre H öllenqualen ewig dauern.«
Er erhob seine Stim m e und sang, rauh und triumphierend, und seine Zuhörer, noch ein m al m itgerissen, fielen ein: »Eine feste Burg ist unser Gott…«
Jacqueline zählte nicht zu den Anwesenden. Paul fand sie weder im Hôtel Rohan noch bei ihren Elter n , obwohl seine Schwieger m utter sich dort m it grim m iger Miene um das Kind küm m erte und ihm deutlich m achte, sollte Jac q ueline e twas zuge s toßen sein, wäre es a ll e in seine Schuld. Der Säugling w i m m erte.
Er suchte sie überall, doch es war u m sonst. Als er schließlich zu den Feniers zurückkehrte, fand er s i e dort endlich. Sie h i e lt ihr Kind im A r m und flößte ihm etwas ein, w as es in der Stadt eige n t lich gar nicht m ehr geben durfte: Milch. Paul war so erleichtert, sie lebend vorzufinden, daß es ihm erst ein i ge Sekunden später auffiel, und er brauchte eine Minute, ehe er be m erkte, daß ihr Mund versch m i ert war, als habe sie, unerfahren und ungeschickt, versucht, sich zu sch m inken. Sie begegnete seinem B lick und sagte tonlos: »Ich habe keine Milch m ehr. Aber wenn ich das Kleine nicht m ehr stillen kann, stirbt es. Also habe ich Milch gekauft, von den Katholiken.«
»Nein«, sagte Paul.
An Jacqueline war nichts Mädchenhaftes m ehr, als sie verächtlich entgegnete: »Ihr Männer seid sol c he Narren. Freiheit und Ehre, was nützen m i r Freiheit und Ehre, wenn m e in Klei n es t o t ist? E s war g ar nicht so schlimm. Und eines sch w öre ich dir, wenn ich dadurch m einem Kind das Leben retten kann, schlafe ich m it der gesa m t en Ar m ee dort drüben!«
Er schlug si e ins Gesic h t, m it der Härte, welche die letzten Monate ihn gelehrt hatten. W ährend sich ihre W ange r ot färbte, starrten sie einander erschrocken an; es war, a l s hätten s ie e ben die jun g en Liebenden, die vor fast einem Jahr
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