Die Schatten von La Rochelle
einem trotz der So mm erhitze sorgsam eingewickelten Säugling, neben ihm e i ne junge, zu einem Schatten ihrer Selbst abge m agerte Frau, die e m sig in einem der Töpfe rührte.
»Und ihr sollt sein ein Fleisch«, zitie r te Catherine. »Seid gut zu ihr, Neffe.«
Da m it ver s chwand sie wieder. Jacqueline drehte sich um. Ihre Hände flogen unwillkürlich an ihr e n Mund, als sie Paul erblickte. Dann schluckte sie und sagte m it e i n wenig rauher, aber ungebrochener Stim m e: »Mein Vater hat m ir Perga m ent für das Brot gegeben. Es wird besser so.«
Er hatte nicht geglaubt, für etwas so dankbar sein zu können wie für die Hand, die sie ihm reichte u nd in der si e ei n es ihrer läc h erlichen Brotstücke hielt. Es ließ sich ertragen, alles ließ s ich ertragen, wenn es nur einen Sinn hatte, und er brauchte Jacqueline und das Kind, um sich einen Sinn zu geben, jetzt, da sein Glaube an die Sache Stück für Stück zusammengebrochen war.
Später sagte Jacqueline: »Es darf jetzt n i c h ts m ehr als W ahrheit zwischen u n s geben, Paul. Die Sol d aten, die sich Frauen a u s La Rochelle für Nahrung und Geld genom m en hatten, sind gerädert worden. Nun wagt es keiner m ehr.«
Soviel zu den Absichten des Kardi n als. Er m achte sich n i cht m ehr die Mühe, die Flugblätter zu lesen, so daß ihm Si m on erst m itteilen mußte, welche Neuigkeiten sie e n thielten, als der Septe m ber anbrach.
»Buckingham soll tot sein, er m ordet von einem gewissen John Feiton.«
»Es m uß sich um eine Lüge handeln«, erklärte Guiton im Gottesdienst vor d en Bürgern der Sta d t, d enn sie ko n nten s i ch m ittlerweile in einer Kirche versa mm eln. »Und selbst wenn der Herzog tot ist, werden uns die Engländer nicht im Stich lassen. Sie werden ko mm en!«
»Mag sein«, knurrte Simon, doch e rwartete da m it, bis er und Paul allein waren, durch einschlägige Erfahrungen klug geworden, »aber Mylord Buckingham ist oder war der einzige, der es notfalls auf einen Krieg m it Frankreich hätte ankom m en la s sen. W enn Buckingham tot ist und der König noch ein m al eine Flotte schickt, dann wird sie höchstens verhandeln, doch nicht m it der f ranzösi s c h en Flotte kä m p fen. Achte auf m eine W orte.«
Si m on war nicht der einzige, den d i e Nachricht, echt oder falsch, ersc hüt t e rt h atte. Zw ei d er R ats h er r en verließen die Stadt und gaben sich als offizielle Abge s andte aus, m it der Aufgabe betraut, über die Kapitulationsbedingungen zu verhandeln. Paul, der Madame de Rohan begleitete, war in der Sitzung anwesend, die sie bei ihrer Rückkehr e m pfing.
» W enn wir uns jetzt ergeben, können wir m it Gnade rechnen, hat der Kardinal gesagt.«
»Gnade, was heißt Gnade ? « fuhr G uiton auf. » W ir haben erlebt, was Katholiken unter Gnade ver s tehen. Bei Gott, m an müßte Euch hängen, weil Ihr uns alle durch d i ese Kriecherei v e rraten habt! Im übrigen«, fügte er hinzu, als er sich wieder ein wenig beruhigt hatte,
»beweist dieses Gerede von Gnade nur eines: Richelieu erwartet die Engländer zurück, des w egen will er, daß wir uns jetzt so f ort ergeben.«
Der Glaube der Stadt an ihren Bürger m eister wurde noch ein m al neu gestärkt, als sich seine W orte bewahrheiteten, denn a m neunundzwanzigsten Septe m ber tauchten die Masten ei n er englischen Flotte wieder am Horizont auf. Sie wurde von den Franzosen m it Geschützfeuer e m pf a ngen, zog sich außer R eichweite der Kanonen zurück und blieb dort eine quälende, unsichere Hoffnung für die Bürger von La Rochelle.
Sie hielt knapp einen Monat lang an, einen Monat, in dem Paul m ehr und mehr in Erwägung zog, die neuen Leichen auf der Straße als m ögliche Nahrungsquelle zu betrachten. Noch hatte er diesen let z ten Sch r itt nic h t get a n, aber er spürte, daß es bald soweit war, und versuchte, Jacqueline darauf vorzubereiten.
»Du hast gesagt«, erinnerte er sie ernst, »du würdest alles tun, da m it das Kind nicht stirbt.«
Sie zuckte zusam m en, n i ckte jedoch langsa m . »J a .«
Bei der nächsten Vollversam m lun g , die Guiton einberief, erkannte m an zum ersten m al, w a s das vergangene Jahr m it ihm angerichtet hatte. Vorher war s eine abgezehrte Gestalt die eines Märt y rers o der Propheten gewesen; jetzt glich sie der eines Gefangenen.
»Man hat«, begann er, hielt inne, räusperte sich und schöpfte kurz Luft, » m an hat einen englischen Abgesandten zu uns durchgelassen. Es ist wahr. Der Herzog von
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