Die Schatten von La Rochelle
geheiratet hatten, zu Grabe getragen.
Paul fand als er s ter die Sprache w i eder. »Es tut m ir leid. E s wird nie wieder geschehen.« Doch seine Worte klangen hohl.
»Verschwi n de aus d i e s em Haus«, sagte Jacqueline kalt. Dann beugte sie sich wieder zu ihrem Kind nieder und stieß leise, beruhigende Laute aus, während sie f o rtfuhr, ihm Milch einzuflößen.
La Rochelle verwandelte sich im m e r m ehr in eine Stadt der Toten. Zuerst hatte m an diejenigen, d i e an Hunger gestorben waren, m i t aller Sorgfalt beerdigt; dann hatte m an Massengräber ausgehoben; m ittlerweile lagen die Toten auf der Stra ß e, wo die Schwäche sie hatte u m kommen lassen. Guiton hatte anfangs noch versucht, einige Männer d er Stadtwehr z u m Aufs a mmeln der Leichen zu organisieren, und war selbst m i t gutem Bei s piel vorangegangen, aber nach zwei Ohnmachtsanfällen hatte er entschieden, daß die wenige verbl e iben d e Kra f t der ka m p f f ähi g en Bürger für W i chtigeres aufgespart wer de n sollte.
Paul sah die Leichen kaum noch, wenn er durch die Straßen ging. Er hatte keinen festen Wohnort m e h r ; bei all den leeren Häusern fand sich im m er eines, in dem m an s c hlafen konnte, wenn es nicht m ehr weiterging. Seine Kundschaftergänge waren vorbei; er hatte nicht m ehr die Kraft, die g u tgenährten katholischen Soldaten zu töten, selbst wenn die Überraschung ihm zum Vorteil gereichte, und er wollte ihnen auf keinen Fall d ie M ö glichk e it ge ben, ihn ge f angenzuneh m en. Was ihn am Leben hielt und dazu zwang, alles zu tun, um am Leben zu bleiben, w urde ihm nur hin und w ieder bewußt, wenn er auf eines der zahlreichen Flugblätter stieß.
W i e k a m en diese Flugblätter in die Stadt? Einige wurden von den Königlichen m it Pfeilen herüber g eschossen, doch andere m ußten von Spionen des Kardinals stam m en. Zu schade, daß sich nicht heraus f inden ließ, wer diese S pione ware n ; sie b esaß e n ver m utli c h hei m liche Vorräte. Jedes der Flugblätter r i ef die Bürger von La Rochelle auf, sich ihrem König zu ergeben, und beschrieb Guiton und den Stadtrat als monströse Egoisten, die zur Befriedigung ihres Ehrgeizes den Tod der gesa m t en Bevölkerung in Kauf neh m en würden.
»Als ob er nicht vorhätte, uns alle u m zubringen, der Teufel in Rot«, sagte Guiton, während er m it seinen verbliebenen G etreuen wie jeden Morgen den Turm der Bartholo m äuskirche erklomm, um nach den Engländern Ausschau zu halten. In P aul flackerte der Gedanke auf, daß es nicht m ehr v i ele Menschen zum Umbringen gab, aber sein altes leichtherziges Ich, das diesen Gedanken sofort ausgesprochen hätte, war längst gestorben.
Wenn er jedoch Zweifel in be z ug auf Guitons Einschätzung von Richelieus Zielen hatte, so versc h wanden sie w ieder, als er zum ersten m al seit langer Zeit seiner Großtante einen Besuch abstattete.
» W enn Ihr etwas zu e s sen wollt, Neffe«, sagte Catherine m üde,
»Ihr habt die W ahl zwischen Brot aus Leder in Kalk und braunem Zucker oder Suppe aus Schuhsohlstückchen. Wenn m an m i r ein m al prophezeit hätte, ich würde m ich d a von ernähren, hätte ich es für einen gesch m acklosen Scherz gehalten. Mein Koch denkt gewiß noch im m er so. Er ist vor zwei Tagen zu den Katholiken übergelaufen, weil er, wie er behauptete, lieber hängen wolle, als seine Kunst durch die Zubereitung meines Kutschgeschirrs zu entweihen.«
Wer hätte gedacht, daß die ehrwü r dige W itwe de Rohan zu so m akabrem Humor fähig war? Paul suchte nach Worte n ; es lag so lange zurück, daß er so etwas wie geist r eiche Konversation betrieben hatte. Doch es tat gut, es wie d er zu ver s uchen; der Geist m ußte ebenso wie der Körper am Leben erhalten werden.
» W er kocht dann diese Meisterwerke der Gastrono m ie für Euch, Mada m e ? «
Catherine legte den Kopf leicht z u r Seite. Sie stützte sich auf ihren Stock, stand auf und bedeutete ihm m it d e m Kinn, ihr zu folgen. Ihre Schritte hallten in dem verlassenen Hôtel Rohan wie Echos an einer Felswand wider. Er hatte nicht ge w ußt, es hatte ihn nie interessiert, wo sich in einem Palais die Küche befand, ehe die Belagerung begann; nun hätte er den Weg so gut wie sie finden können.
Auf den Anblick in dem riesigen Rau m , der e i n m al dazu gedient hatte, nicht nur die Familie de Roh a n und ihre Gäste, sondern an die hundertfünfzig Bedienstete zu ver s orgen, war er dennoch nicht gefaßt. Vor dem Herd stand ein Korb m it
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