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Die Schatten von La Rochelle

Die Schatten von La Rochelle

Titel: Die Schatten von La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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fortgeschickt hatte, war er noch nicht im geringsten m üde, aber m it seinem unbrauchbaren A r m konnte er eine weitere schlaflose Nacht nicht auf die gewohnte Art füllen. Außerdem hatte die Begegnung m it dem König, diese erzwungenen gegenseitigen Eingeständnisse, ihre Spuren hinterlassen.
    Langsam b e gann sich Z orn in ihm zu regen. Jahre, Jahrzehnte, um diesem Mann und seinen Erben einen innen und außen gefestigten Staat zu geben, und sie wurden bei s eite gewischt von einem jungen, gutaussehenden, geistlosen Ehrgeizigling.
    Nein, das war eine Lüge. Er hatte es nicht für Louis getan. »Hochmut und Eitelkeit«, hatte Alphonse g e schrieben. Nicht nur. Dies e r Satiriker, der junge Scarron, drückte es etwas eleganter und wahrheits g e m äßer au s : » Ich zweifle nic h t daran, daß der Kardinal Frankreich liebt, a ber leid e r k a nn er f ür d i e F r anzosen n i cht g a n z d as g l e i che Gefühl aufbringen.«
    Es war etwas abstra k t, ein Land zu lieben. Der Ehrgeiz, aus diesem Haufen streitsüchtiger F ürstentü m er und aufrührerischer protestantischer Städte einen einigen Staat zu f or m en: Reflexion s ein e r Eige n liebe, der Sucht, in die Geschic h tsbücher einzugehen, auf Kosten der Menschen, die auf dem Weg dorthin ihr Leben verloren? Gewiß, sagte Alphonse in ih m . Sei ehrlich. Wärest du bereit, für das, was du da gefor m t hast, zu sterben, so wie diese Ketzer es in La Rochelle waren?
    Er erinnerte sich an die Leichen, die beim Einzug des Königs i mm er noch nicht beerdigt worden waren und in den Gassen lagen, den Gassen ein e r Geist e rst a dt. W aru m , um alles in der W elt, hatten sie sich nicht früher ergeben? Zwa n zigtausend Tote, und weitere vierhundert, die starben, als die Vorräte eintrafen, weil sie zu schnell und zu hastig aßen. Märtyrer wofür?
    Es waren keine Gedanken für eine einsa m e Meditation. Er tat, was er fast im m e r in solchen Fällen tat; er ging zu Marie.
    Sie hatte ebenfalls n o ch keine Anstalten ge m acht, sich für die Nacht zurückzuziehen, sondern saß m it den Katzen Rodrigue und Diègue vor dem Feuer in ihrem Sa l on. Ihre Beine waren hochgezogen; in dem riesigen Schaukelstuhl, den sie von ihrem Vater geerbt und bis jetzt in jedes Palais m itgeschleppt hatte, sah sie aus wie ein Kind.
    Kind. Selt s a m , dieses pri m itive Bedür f nis n ach Nachk o mmen, dachte er, während er Maries Anblick und die besänftigende Reaktion, die sie auf ihn ausübte, auf sich einwirken ließ. Er hatte Louis die Wahrheit gesagt. Es w ar lächerlich und vollkom m en überflüssig, denn er hinterließ etwas Besseres a l s einen Sohn. Aber da war es: die Sucht nach dieser Art von Unste r blichkeit. Armand, sagte die Sti mm e von Pater Joseph in seiner E r innerung, Ar m a nd, Ihr wollt immer, was Ihr nicht bekommen könnt. Für eine ge w i sse Zeit mag es ein Antrieb sein, aber dann ist es der s i cherste W eg zum Verlust der Seele.
    Er setzte sich Marie gegenüber, und einer der Kater kam zu ih m . Der Kardinal achtete darauf, i hn von seinem verbundenen rechten A r m fernzuhalten, aber es war beruhigend, das kleine schnurrende Bündel W ä r m e zu spüren.
    Sie schauten ge m eins a m in die Fla mm en, die Maries Gesicht in unregel m äßige Schatten tauchten. S i e hatte sich verändert; er konnte den Finger nicht auf den Punkt legen, aber er wußte, daß es so war, und er wußte, daß sie schon seit ein i ger Zeit etwas belastete, was sie ihm verschwieg. Es verstörte ihn meh r , als er sich selbst ei n gestehen wollte.
    »Monseigneur«, sagte sie plötzli c h, ohne den Blick vom Feuer zu wenden, und er lauschte dankbar ihrer Stim m e, einem wa r m en Mezzosopran, der ihn im m er an die Som m erabende in Avignon erinnerte,
    »habt Ihr je m als bereut, das Urt e il in Loudun beschleunigt zu haben ? «
    Loudun? W i e kam sie darau f ? »Nein«, entgegnete er, ohne zu zögern. »Sonst wäre die S ache weiter eskaliert. Ich habe auf der Reise nach Rom i n den deutschen Fürstentü m ern Dörfer gesehen, die durch langwierige Hexenprozesse vollst ä ndig ausgerottet worden waren.«
    »Und der Mann hatte Pamphlete gegen Euch geschrieben.« Täuschte er sich, oder lag eine gewisse Schärfe in ihrem Ton?
    »Ja. Aber d as lag Ja h re zurück. Ich hätte s ein Gnadengesuch auch abweisen lassen, wenn er nur Lobeshy m nen auf m i ch verfaßt hätte.«
    Rodrigue, der gelbbraune Kater, d e r bei ihr geblieben war, spürte anscheinend Maries innere Unruhe; er verließ

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