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Die Schatten von La Rochelle

Die Schatten von La Rochelle

Titel: Die Schatten von La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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wenig sp ö tti s ch. W as er e n tgegnete, war so eigenartig wie eige n tlich alles, was er während ihrer zwei Begegnungen zu ihr gesagt hatte.
    » W ie alt seid Ihr, Mada m e ? «
    »Alt«, sagte sie m it plötzlichem Verständnis. »Uralt.«
    Die Gnadenpause, die ihm das So r tieren seiner Blätter ein g ebrac h t hatte, war vorüber. Raoul räusperte sich erneut und begann: »Die Szene, m it der ich anfangen m öcht e , beschreibt, wie m eine Heldin C a m ille auf Neuigkeiten von dem K a m pf zwischen ihren Brüdern und ihrem Verlobten wartet…«
    Er hatte diesen dritten Akt schon öfter vorgetragen, und seine Freunde, Talle m ant allen voran, hatten ihn gebührend bewundert und gepriesen. Aber hatte Talle m ant wir k lich Gefallen an seiner Tragödie gefunden, oder war es ihm nur darauf angekom m en, sich das nächste Essen finanzieren zu lassen? Er wünschte, Pa u l hätte ihm nicht a u sgerechnet vor dieser Lesung Einbli c k in solche möglichen Abgründe gewährt.
    Er las zunächst zie m lich leise und versprach sich zwei m al, doch bald begann ihn die Begeisterung, die er beim Verfassen der Verse e m pfunden hatte, davonzutragen. Raoul kümmerte sich nicht m ehr daru m , wer aller ihm zuhörte, er v e rsenkte sich in seine Personen, schlüpfte in ihre Rollen, lebte m it ihnen, e m pfand m it ihnen und endete schließlich triu m phierend: » W as ist m i r Rom, was sind m i r m eine Brüder?/ Gib, Grausa m er, m i r du den Liebsten wieder!«
    Die Stille, die ihn e m pfing, war läh m end. Er hatte sich be m üht, keine allzu hochgespannten Erwartungen auf Beifallsstür m e in dieser ehrwürdigen Gesellscha f t zu hegen, aber dies e r völlige M a ngel an Applaus…
    »Eure Handlungsführung ist nicht übel«, sagte Chapelain schließlich, und Raoul war ihm beinahe d a nkbar da f ür, daß er die Stille durchbrach, »aber ist Euch bewußt, d a ß Ihr in diesem einen Akt nicht weniger als zwei direkte Zitate aus dem Cid untergebracht habt ? «
    Georges de Scudery, wie Chapela i n ein Akademie m itglied, d er s e ine Schwest e r, die Schri f tst e ll e rin Madeleine de Scudery zur Marquise de Ra m b ouillet be g l e it e t hatte, m einte sar k astisch: »Ein Zitat i s t entsch u l dbar als ein K o mpli m ent an das Id o l Eures Herzens. Zwei sind entwe d er eine gro b e Sch m eic h elei oder, wenn sie unabsichtlich hineingeraten sind, eine unverzeihliche Dum m h e it.«
    »Soll ich der Leidenschaft, soll ich der Ehre dienen? Und: Gerechte Rache galt noch niemals als Verbrechen«, stimmte Chapelain zu.
    »Das steht wortwörtlich so im Cid.«
    »Es freut m i ch«, warf Corneille m ilde ein, »daß die Mitglieder der Akad e m ie auf Anhieb eine Zeile aus m ein e m bescheidenen W erk erkennen, nachdem sie es auf so vielen Seiten getadelt haben.«
    Die Marq ui se de Ra m b ouillet lachte. »Touche, Monsieur de Chapelain, Monsieur de Scudery.«
    »Selbstverständlich kennen wir es inund auswendig«, konterte Georges de Scudery. »Schließlich k o m m t es selten vor, daß es einem Autor gelingt, gegen so viele Regeln des guten Gesch m acks auf ein m al zu verstoßen.«
    Seine Schwester versetzte ihm m i t dem Fächer einen leichten Schlag auf den Ar m . »Georges«, sa g te sie. Des m artes stöhnte. »Bitte, Messie u rs, Mesda m es nicht noch eine Debatte über den Cid. Ich kann es nicht m ehr hören!«
    Doch selbstverstän d lich stürzten s i e sich nur allzugerne in eine ihrer aller Lieblingsdiskussionen, und Raoul war vergessen. Er stand stumm da, s ein Manuskript im m er noch in der Hand, und Marie sah, daß er m it den Tränen kä m p fte. Sie ging zu ihm und führte ihn in eine Ecke des Salons.
    »Monsieur«, sagte sie, »es hätte schlimmer sein können.«
    »Oh, ja«, gab Raoul bitter zurück. »Man hätte m i ch umgehend hinauswerfen können!«
    »Nein. Ihr habt nur das Pech gehab t , einen alten Streit wie d er zu entflam m en. Habt Ihr vergessen, daß Chapelain seine Kritik m it einem Ko m pli m ent an Eu c h begonnen hat ? «
    Raoul schluckte. » W as haltet Ihr von m einem S t ück, Madame ? «
    » W ollt Ihr d i e W ahrheit wisse n ? «
    Er nickte heftig. »Nun«, sagte Mar i e sachlich, »Ihr habt ein Gespür für Monologe und für Wendungen, die im Gedächtnis bleiben. Aber m einer Meinung nach seid Ihr dem Tragischen ausgewichen, da Ihr dafür gesorgt habt, daß Ca m ille ihren Bruder Horace sc hon haßt, weil er überhaupt gegen ihren Verlobten kä m pft, noch ehe sie erfährt, daß er ihn

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