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Die Schatten von La Rochelle

Die Schatten von La Rochelle

Titel: Die Schatten von La Rochelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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getötet hat. W enn si e dagegen für Bruder und Gelie b t en fast gleich viel empfänd e , h ä ttet Ihr einen viel grausa m eren, tra g isch e ren Kon f likt.«
    Raouls erster I m puls w a r, ihr zu widersprechen, aber er unterdrückte ihn. Zu m i ndest hatte sie seiner Lesung zugehört und sich m it d e m Inhalt auseinanderge s etzt, statt wie die anderen nur darauf zu warten, eigene Geistesblitze loslassen zu können. »Ich danke Euch, Mada m e«, sagte er würdevoll, »für Einladung und Kritik. Ich werde jetzt gehen und m ich m it beidem auseinandersetzen.«
    Marie beobachtete ihn, während er m it steifem Rücken aus dem Salon verschwand. »In der Tat, er ist noch jun g «, sagte s i e. » W ollt Ihr ihm nicht folgen, Monsieur d ’Irsd m asens, um ihm beizustehen ? «
    Paul d’Irsd m asens schüttelte den K opf. »Es gibt Situationen, in denen m an a m besten allein ist. I h r habt eine interessante Auffassung von der Tragödie, Mada m e. Aber wie ich inzwischen erfahren habe, seid Ihr ja sehr vertraut da m it…« Er m achte ei n e winzige P ause, ehe er fortfuhr: »… da Corneille Euch seinen Cid gewid m et hat.«
    »Inzwischen?« fragte sie m it hochgezogenen Brauen.
    »Ich hatte nie das Vergnügen, das Stück zu sehen, da ich da m als außer Landes war, also mußte ich es m i r kaufen. W enn ich recht info r m iert wurde, ging es in der Debatte, die das S t ück auslöste, neben der Kontroverse um die drei Einh e iten vor allem daru m , daß die Heldin am Schluß den Mörder ihres Vaters heiratet.«
    »In der Tat. Die Akade m ie fand d a m als, der Konflikt hätte nur tragisch gelöst werden können, und Chi m ène hätte bis zum Schluß auf Rodrigues T od bestehen müssen, um ihren Vater zu rächen.«
    »Mord, großer König, ist nur durch den Tod zu rächen«, z itierte er.
    »Aber ich muß gestehen, was m i ch am m eisten beschä f ti g t, Mada m e, ist eine and e re Stelle: Was als Verbrechen gilt, wird öfters ausgeglichen, ist et w as längre Z eit darüber nur verstrichen. W ürdet Ihr dem zustim m en, Mada m e ? «
    Sie antwortete n i cht s o fort. W ährend sie ihn mus t erte, versuchte sie, zu ergründen, ob es ihm ernsthaft um ihre Meinung ging, oder ob seine Frage eine rhetori s che Falle d a rst e llte, um sich über sie lustig zu m achen. Aber den metalli s chen b l auen Augen war nichts zu entneh m en. Unwillkürlich bewunderte sie seine Selbstbeherrschung.
    »Nein«, sagte Marie schließlich. »Ich glaube, in diesem Punkt hatte Monsieur Corneille unrecht. E i n altes Verbrechen kann m öglicherweise verziehen werden, aber das bed e utet nicht, daß es je ausgeglichen oder vergessen wird.«
    »Verziehen « , wiederholte er langsam.
    »Manch m al«, sagte sie nachdenkl i ch, »glaube ich, daß nur Gott wirklich i m stande ist, uns zu vergeben, was wir getan haben.«
    Dies m al lag eindeutig S pott in seiner Stim m e. »Ihr glaubt, daß er uns vergibt?«
    Die Frage s chockierte s i e. »Selb s t v erstän d l ich « , entgegnete Marie heftiger, als sie beabsichtigt hatte. »Es ist eine der Grundwahrheiten, auf die unser Glauben gebaut ist.«
    »Euer Glauben, Madame.«
    Sie glaubte zu begreifen. »Ich verstehe. Ihr seid Protestant.«
    Er lachte. E s war ein trockenes Lachen ohne die geringste Heiterkeit darin. »Ah, Madame, ist das alles, was Euch dazu e i nfä ll t ? Ich war es. Es interessiert m i ch nicht m ehr.«
    Warum brachte es dieser Mensch nur immer wieder fertig, sie aus der Fassung zu bringen? Ihr lag e i ne scharfe Antwort auf der Zunge, aber dann dachte sie an das, was sie im Louvre bei ihm gespürt hatte, und wußte plötzlich, daß ihr da m it eine W affe in die Hand gegeben war.
    »Ich glaube, Ihr irrt Euch«, erwiderte sie gedehnt. » W enn es Euch nicht m ehr intere s si e rte, würdet Ihr nicht so darunter leiden.«
    Da war es, das Zersplitt e rn des Eises, auf das sie gewartet hatte. Es dauerte nur einen Mo m ent, aber sie hatte das Gefühl, er hätte sie am liebsten geschlagen.
    »Ihr seid eine erstaunliche Frau, Mada m e. Es war ausgesprochen gütig von E uch, m einem Bruder diese Chance zu geben. Nachd e m Ihr uns in E ure W elt eingeladen habt, darf ich die Freundlichkeit erwidern und Euch in die m eine bitte n ? «
    Dies m al wußte s ie zunächst n icht, was sie er w i dern sollte. Er sah ihre Verwirrung und präzisierte: »Ich gebe eine kleine Feier aus Anlaß m einer Beförderung.«
    »Bis ich Euch heute sah, wußte ich gar nicht«, sagte sie, um ihr Zögern zu

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