Die Schattenflotte
Aufdecken.
Die Erbsensuppe, die Sören mit den anderen Stewards in der Offiziersmesse servierte, fand wider Erwarten reißenden Absatz. Während des Essens klärte Admiral Tirpitz die anderen Herren darüber auf, dass man im Folgenden eine kurze Begleitfahrt mit dem anderen Schiff eingehen werde. Es handelte sich tatsächlich um ein Schwesterschiff, den Kaiser Barbarossa, der über den Kaiser-Wilhelm-Kanal aus der Ostsee hierhergekommen war. Da die Kaiser-Klasse mit Fertigstellung dieses Schiffes nun vollständig sei, so von Tirpitz weiter, erhoffe man sich durch die Begleitfahrt Erkenntnisse bezüglich der unterschiedlichen Antriebe sowie gewisser anderer konstruktiver Besonderheiten beider Schiffe, die dann zu einem späteren Zeitpunkt genauer erörtert würden.
Die folgenden Gespräche der Anwesenden waren durchdrungen von allen möglichen Spekulationen, was einem auf der weiteren Fahrt noch bevorstand. Die Kapitäne tauschten sich über ihre ersten Eindrücke der Fahr- und Manövrierfähigkeiten des Schiffes aus, die Ingenieure diskutierten die konstruktiven Details, und Kapitänleutnant Strasser hielt einen kurzen Monolog über die Schiffe der zweiten Division des ersten Flottengeschwaders. Nur von Tirpitz und Admiral von Koester warfen sich beizeiten einen verschwörerischen Blick zu. Schmidlein und die Leute aus der Abteilung für Wissenschaftliches Versuchswesen hatten sich immer noch nicht blicken lassen. Langsam bezweifelte Sören, dass sie überhaupt mit an Bord waren.
Mit kleiner Fahrt schloss der Kaiser Karl der Große zu seinem Schwesterschiff auf. Man verständigte sich perBlinkzeichen von Brücke zu Brücke, dann signalisierten schwarze Wolken aus den Schornsteinen des anderen Schiffes, dass es losging. Kapitän Wahlen steuerte das Schiff in die Heckwelle des Kaisers Barbarossa. Ihr Abstand betrug ungefähr zwei Schiffslängen. Als sich die Fahrrinne verbreiterte, schwenkte der Steuermann aus dem Kielwasser des vorderen Schiffes. Die Wellen wuchsen an, und das Schiff begann zu stampfen. Die durchbrochenen Wellenkämme quittierte das Schiff mit einem Zittern, wenn eine Welle auf voller Länge durchschnitten wurde, folgte ein grollendes Krachen. Auf den Gesichtern der Anwesenden ließ sich deutlich ablesen, wer auf dem Meer zu Hause war und wer nicht. Kapitän Wahlen grinste voller Zufriedenheit, und der zukünftige Kommandant von Heeringen stand ihm in nichts nach.
«18 Knoten», verkündete Kommandant Zenker mit einem Blick auf den Geschwindigkeitsmesser. «Aber nicht über Grund.»
«Schneller kann der Barbarossa nicht», entgegnete Kapitänleutnant Strasser. «Der fährt bereits Volllast.»
«Dann wollen wir mal zum Überholen ansetzen», sagte Wahlen und forderte volle Leistung aus dem Maschinenraum.
Der Lärm wuchs ins Ohrenbetäubende. Nicht nur die Maschine ließ sich mit einem martialischen Kreischen vernehmen, sondern auch vom Rumpf des Schiffes war nun ein permanentes Stöhnen und Ächzen zu hören.
«Gleichauf mit 22 Knoten, Geschwindigkeit zunehmend.»
«Phantastisch», lobte Oberleutnant Raeder, und auch die anderen auf der Brücke schlossen sich dem mit ähnlichen Kommentaren an.
Das Schiff pflügte nur so durch die Wellen, derenHöhe Sören auf mindestens drei Meter schätzte. Wenn sie hier schon derart durchgeschaukelt wurden, wagte er nicht daran zu denken, was auf dem offenen Meer auf sie zukommen würde. Sie zogen unbeeindruckt an dem anderen Schiff vorbei.
«24 Knoten, Geschwindigkeit weiter zunehmend.»
Das Staunen auf den Gesichtern wich Beunruhigung. Einige schauten ungläubig auf Kommandant Zenker, der wie gebannt auf den Geschwindigkeitsmesser starrte. «Immer noch steigend.»
Bei 26 Knoten war Schluss. Der Vorsprung auf den Kaiser Barbarossa betrug mindestens zwei Seemeilen. Auf Höhe Cuxhaven gab Kapitän Wahlen Befehl, die Maschinenleistung langsam abzusenken, bis das andere Schiff wieder auf gleicher Höhe war, dann übergab er das Kommando mit einem Handschlag an von Heeringen. Die Umstehenden applaudierten.
In gemächlicherem Tempo ging es weiter in Richtung Helgoland. Die Wellenberge wuchsen zunehmend an, ihre Höhe betrug inzwischen bestimmt über fünf Meter. In den Wellentälern riss der Blickkontakt zwischen den Schiffen immer häufiger ab. Auf Höhe Scharhörn drosselte man schließlich das Tempo, und beide Schiffe gingen längsseits, um sich erneut per Blinkzeichen zu verständigen. Sören hatte keine Gelegenheit, das Morsefeuer zu
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