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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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vermacht, wo sie allgemein zugänglich ist. Die Damen gehen alle regelmäßig im Verein ein und aus.»
    «Könnten Sie nicht über den – wie sagt man – den Anschlag Genaueres herausfinden?»
    Wieder schüttelte Graves den Kopf.
    «Theoretisch ja – aber diese Umschläge sind von jemandem adressiert worden, der mit einem Finger tippt.»
    «Also jemandem, der das Maschineschreiben nicht beherrscht?»
    «Nein, das würde ich nicht sagen. Eher jemandem, der tippen kann und diese Tatsache verschleiern will.»
    «Wer auch immer hinter der Sache steckt, er geht sehr schlau zu Werke», sagte ich langsam.
    «Allerdings, Sir, allerdings», erwiderte Graves. «Eine Meisterin ihres Fachs.»
    «Ich hätte gar nicht gedacht, dass diese Bauersfrauen so viel Grütze im Kopf haben», sagte ich.
    Graves hüstelte.
    «Ich habe mich vielleicht nicht deutlich genug ausgedrückt. Diese Briefe sind das Werk einer gebildeten Frau.»
    «Einer Dame? »
    Das Wort entschlüpfte mir ganz unwillkürlich. Ich hatte es seit Jahren nicht mehr in diesem Sinne gebraucht. Nun kam es mir wie von selbst über die Lippen, ein Nachhall längst vergangener Zeiten – die Stimme meiner Großmutter, die leichte, kaum bewusste Arroganz, mit der sie sagte: «Sie ist natürlich keine Dame, meine Liebe.»
    Nash verstand augenblicklich. Das Wort Dame hatte für ihn noch die alte Bedeutung.
    «Nicht notwendigerweise eine Dame», sagte er. «Aber mit Sicherheit keine Bäuerin. Die Bauern hier tun sich fast alle schwer mit der Rechtschreibung, und sie sind auf keinen Fall imstande, sich flüssig auszudrücken.»
    Ich schwieg, denn ich hatte soeben einen Schock erlitten. Die Dorfgemeinde war so klein. Unbewusst hatte mir jemand wie Mrs Cleat vorgeschwebt, ein dumpfes, ränkevolles Hirn.
    Symmington fasste meine Gedanken in Worte. Er sagte scharf: «Aber dann kommen ja in der ganzen Stadt nur ein halbes bis ein Dutzend Menschen in Frage!»
    «So ist es.»
    «Das kann doch nicht sein.»
    Und mit sichtlicher Überwindung, den Blick starr geradeaus gerichtet, als ekle ihn der Klang seiner eigenen Worte, fuhr er fort:
    «Sie haben gehört, was ich bei der Untersuchung gesagt habe. Falls der Eindruck entstanden ist, diese Aussage sei von dem Wunsch getragen gewesen, das Andenken meiner Frau zu schützen, möchte ich an dieser Stelle wiederholen, dass die Behauptungen in dem Brief, den meine Frau erhalten hat, jeder Grundlage entbehren. Davon bin ich fest überzeugt. Meine Frau war hochsensibel und in mancher Hinsicht – nun – man könnte wohl sagen, prüde. Ein Brief wie dieser wäre auf jeden Fall ein großer Schock für sie gewesen, und mit ihrer Gesundheit stand es nicht zum Besten.»
    Graves erwiderte prompt: «Ich sehe es ganz genauso, Sir. Keiner der Briefe offenbart irgendwelche Anzeichen intimer Kenntnisse. Nichts als blinde Anschuldigungen. Kein einziger Erpressungsversuch. Und eine religiöse Komponente, wie das manchmal der Fall ist, scheint es auch nicht zu geben. Obszönitäten und Gehässigkeit, das ist alles. Und das wird uns auch auf die Spur der Verfasserin bringen.»
    Symmington erhob sich. So trocken und leidenschaftslos er sonst wirkte, jetzt zitterten seine Lippen.
    «Ich kann nur hoffen, Sie finden diese Hexe bald. Sie hat meine Frau umgebracht, so sicher, als wenn sie sie eigenhändig erstochen hätte.» Er schwieg einen Augenblick. «Was sie jetzt wohl empfindet?»
    Er ging hinaus und ließ die Frage im Raum stehen.
    «Was empfindet sie, Griffith?», wiederholte ich. Mir schien, dass die Antwort in seine Zuständigkeit fiel.
    «Weiß Gott. Reue vielleicht. Andererseits ist es auch denkbar, dass sie ihre Macht genießt. Mrs Symmingtons Tod könnte ihrem Wahn zusätzliche Nahrung geliefert haben.»
    «Hoffentlich nicht.» Es überlief mich kalt. «Denn dann wird sie…»
    Ich zögerte, und Nash vollendete den Satz statt meiner.
    «Wird sie es wieder versuchen? Das, Mr Burton, wäre die beste aller Möglichkeiten – für uns. Sie wissen ja, der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht.»
    «Es wäre Wahnsinn weiterzumachen», rief ich.
    «Sie wird weitermachen», entgegnete Graves. «Sie machen alle weiter. Es ist eine Sucht, sie können nicht davon lassen.»
    Schaudernd schüttelte ich den Kopf. Dann fragte ich, ob ich noch gebraucht würde; es trieb mich ins Freie. Die Luft hier drinnen schien gesättigt von Bösem.
    «Nein, das wäre alles, Mr Burton», sagte Nash. «Halten Sie nur die Augen offen und rühren Sie kräftig die

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