Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
Vom Netzwerk:
gewesen war, um mit noch ganz anderen Unbilden fertig zu werden. Wahrscheinlich hätte sie an dieser Sensation ihre helle Freude gehabt.
    Emily fuhr fort: «Es bedrückt mich furchtbar.»
    «Sie haben aber doch nicht auch – äh – Post bekommen?»
    Sie wurde knallrot.
    «O nein – Gott bewahre, nein. Oh! Das wäre ja schrecklich.»
    Ich entschuldigte mich hastig, aber sie verabschiedete sich mit recht verstörtem Gesicht.
    Ich ging ins Haus. Joanna stand vor dem offenen Kamin im Wohnzimmer, den sie eben angezündet hatte, denn die Abende waren immer noch kühl.
    Sie hielt einen Briefbogen in der Hand.
    Als ich eintrat, wandte sie rasch den Kopf.
    «Jerry! Schau, das habe ich gerade im Briefkasten gefunden – persönlich eingeworfen. Es fängt an: ‹Du aufgedonnerte Schlampe…»›
    «Und weiter?»
    Joanna schnitt ein Gesicht.
    «Immer dieselben Schweinereien.»
    Sie ließ den Brief in die Flammen fallen. Mit einer hastigen Bewegung, die meinem Rücken gar nicht gut tat, bekam ich ihn zu fassen, bevor er Feuer fing.
    «Nicht», sagte ich. «Vielleicht brauchen wir ihn noch.»
    «Brauchen?»
    «Für die Polizei.»
     
    V
     
    Superintendent Nash kam am nächsten Morgen. Ich mochte ihn auf Anhieb. Er war ein Provinzkriminaler der besten Sorte. Groß, soldatisch, mit ruhigen, nachdenklichen Augen und einer geradlinigen, uneitlen Art.
    «Guten Morgen, Mr Burton», sagte er. «Sie können sich wahrscheinlich denken, weswegen ich Sie sprechen möchte.»
    «Ich glaube, ja. Die Sache mit den Briefen.»
    Er nickte.
    «Sie haben auch einen erhalten, wenn ich recht informiert bin?»
    «Ja, kurz nach unserer Ankunft.»
    «Was stand genau darin?»
    Ich überlegte ein wenig, dann wiederholte ich den Wortlaut so getreu wie möglich.
    Der Superintendent lauschte mit unbewegter Miene. Als ich fertig war, sagte er: «Aha. Sie haben den Brief nicht zufällig aufbewahrt, Mr Burton?»
    «Leider nein. Ich hielt es für eine vereinzelte Unmutsbekundung gegen uns als Neuankömmlinge.»
    Nash neigte verständnisvoll den Kopf.
    «Ein Jammer», sagte er knapp.
    «Aber», fügte ich hinzu, «meine Schwester hat gestern auch einen bekommen. Ich konnte sie gerade noch daran hindern, ihn ins Feuer zu werfen.»
    «Danke, Mr Burton, das war geistesgegenwärtig von Ihnen.»
    Ich trat an meinen Schreibtisch und sperrte die Schublade auf, in der ich den Brief verwahrt hatte – als Lektüre für Partridge schien er mir nicht geeignet. Ich reichte ihn Nash.
    Er las ihn durch. Dann blickte er auf und fragte: «Sah der Erste genauso aus?»
    «Ich glaube schon – soweit ich mich erinnere.»
    «Die gleiche Diskrepanz zwischen Umschlag und Text?»
    «Ja», sagte ich. «Die Anschrift war mit der Maschine geschrieben. Der Brief selbst bestand aus gedruckten Worten, die auf einen Bogen Papier geklebt waren.»
    Nash nickte und steckte den Brief ein.
    «Wären Sie wohl so gut, Mr Burton», sagte er dann, «und kämen mit aufs Revier? Dann könnten wir uns dort gleich mit den anderen besprechen, was uns einiges an Zeit und Überschneidungen sparen würde.»
    «Gern», sagte ich. «Sie meinen, sofort?»
    «Wenn es Ihnen nichts ausmacht.»
    Ein Streifenwagen wartete vor der Tür. Wir fuhren in die Stadt.
    «Glauben Sie, dass Sie den Fall aufklären können?», fragte ich.
    Nash nickte mit beiläufiger Selbstgewissheit.
    «O ja, wir werden ihn ganz bestimmt aufklären. Dafür braucht es nur Zeit und Routine. Sie dauern, diese Fälle, aber sie sind eine ziemlich sichere Sache. Alles nur eine Frage der Eingrenzung.»
    «Ausschlussverfahren?», fragte ich.
    «Ja. Und ansonsten das Übliche.»
    «Briefkästen beobachten, Schreibmaschinen überprüfen, Fingerabdrücke untersuchen?»
    Er lächelte. «Sie sagen es.»
    Auf dem Polizeirevier warteten schon Symmington und Griffith. Ich wurde mit einem hoch gewachsenen, hohlwangigen Mann in Zivil bekannt gemacht, Inspector Graves.
    «Inspector Graves», erklärte Nash, «ist aus London da, um uns zu helfen. Er ist Experte für anonyme Briefe.»
    Inspector Graves lächelte kummervoll. Ich dachte im Stillen, was für ein trauriges Leben das sein musste, immerzu auf der Jagd nach anonymen Briefeschreibern. Graves freilich legte eine Art melancholischer Begeisterung an den Tag.
    «Sie sind alle gleich, diese Fälle», sagte er mit einer tiefen, klagenden Stimme, die an einen deprimierten Bluthund denken ließ. «Sie würden staunen. Die Formulierungen, die Inhalte, alles.»
    «Wir hatten vor zwei Jahren einen ähnlichen

Weitere Kostenlose Bücher