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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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Phantasie. Ja, leider Gottes, eine so schmutzige Phantasie.»
    Nervös versuchte ich ihren Blick zu meiden, traf ihn aber doch und machte eine höchst unbehagliche Entdeckung.
    Miss Ginch genoss die Situation in vollen Zügen.
    Das war heute schon der zweite Mensch, der sich an anonymen Briefen freuen konnte. Inspector Graves’ Begeisterung war berufsbedingt. Miss Ginchs Vergnügen erschien mir anzüglich und widerwärtig.
    Ein bestürzender Gedanke durchzuckte mein Hirn.
    Hatte Miss Ginch die Briefe selbst geschrieben?

Siebtes Kapitel
    I
     
    A ls ich nach Hause kam, saß dort Mrs Dane Calthrop und unterhielt sich mit Joanna. Sie sah, so fand ich, grau und elend aus.
    «Das war ein fürchterlicher Schock für mich, Mr Burton», sagte sie. «Das arme, arme Ding.»
    «Ja», sagte ich. «Ein schrecklicher Gedanke, dass ein Mensch dazu getrieben wird, sich das Leben zu nehmen.»
    «Ach, Sie sprechen von Mrs Symmington?»
    «Sie nicht?»
    Mrs Dane Calthrop schüttelte den Kopf.
    «Natürlich tut sie einem Leid, aber früher oder später musste es ja wohl so kommen, nicht?»
    «So?», sagte Joanna knapp.
    Mrs Dane Calthrop wandte sich zu ihr.
    «Ich glaube, ja, meine Liebe. Wenn für jemanden die Antwort auf ein Problem Selbstmord lautet, dann spielt es kaum eine Rolle, welcher Art das Problem ist. Wann immer sie sich einem schlimmen Schrecken gegenübergesehen hätte, wäre dies ihr Ausweg gewesen. Es läuft alles darauf hinaus, dass sie eben der Typ dafür war. Nicht, dass irgendjemand sie so eingeschätzt hätte. Auf mich hat sie immer den Eindruck einer ichbezogenen und recht dummen Person gemacht, die sehr genau weiß, was sie will. Kein Mensch, der leicht in Panik gerät, hätte ich gedacht – aber mir wird langsam klar, wie wenig ich offenbar weiß.»
    «Ich bin immer noch neugierig, wen Sie mit dem ‹armen Ding› gemeint haben», bemerkte ich.
    Sie sah mich groß an.
    «Natürlich die Frau, die die Briefe geschrieben hat.»
    «Ich glaube nicht», sagte ich trocken, «dass ich viel Mitgefühl an sie verschwenden möchte.»
    Mrs Dane Calthrop beugte sich vor. Sie legte mir die Hand aufs Knie.
    «Aber begreifen Sie denn nicht – fühlen Sie nichts? Setzen Sie Ihre Phantasie ein. Stellen Sie sich vor, wie unglücklich, wie grauenhaft unglücklich jemand sein muss, der sich hinsetzt und so etwas schreibt. Wie einsam, wie abgeschnitten vom Rest der Menschheit. Durchseucht bis ins Mark von einem Strom schwarzen Gifts, das sich nur so Bahn brechen kann. Deshalb mache ich mir ja solche Vorwürfe. Irgendjemand in dieser Stadt leidet Höllenqualen, und ich wusste nichts davon. Ich hätte es wissen müssen. An seinen Taten kann man niemanden hindern – das versuche ich gar nicht erst. Aber diese schwarze, stumme Verzweiflung – wie ein septischer Arm, angeschwollen und schwarz. Wenn man ihn nur aufstechen und das Gift herauslassen könnte, dann würde es abfließen und niemandem ein Leid tun. Ja, arme Seele, arme Seele.»
    Sie stand auf, um zu gehen.
    Ich mochte ihr nicht beipflichten. Ich empfand keinerlei Mitleid für unsere namenlose Briefeschreiberin. Aber ich fragte doch neugierig:
    «Haben Sie denn irgendeine Vorstellung, Mrs Calthrop, wer diese Frau sein könnte?»
    Die schönen, ratlosen Augen blickten in meine.
    «Ich kann natürlich Vermutungen anstellen», sagte sie. «Aber man kann sich auch vertun, nicht wahr?»
    Und raschen Schritts ging sie hinaus, steckte aber noch einmal den Kopf durch die Tür und fragte:
    «Ach, sagen Sie mir doch, warum sind Sie eigentlich nicht verheiratet, Mr Burton?»
    Bei jedem anderen hätte die Frage unverschämt geklungen, aber bei Mrs Dane Calthrop hatte man das Gefühl, der Gedanke sei ihr eben erst gekommen und sie müsse es ganz dringend wissen.
    «Können wir uns darauf einigen», sagte ich um Fassung ringend, «dass ich noch nicht die richtige Frau gefunden habe?»
    «Darauf können wir uns einigen», sagte Mrs Dane Calthrop, «aber es wäre keine sehr gute Antwort, wo doch so viele Männer eindeutig die falsche Frau geheiratet haben.»
    Diesmal ging sie wirklich.
    Joanna sagte: «Ich halte sie ja offen gestanden für wahnsinnig. Aber ich mag sie. Die Leute hier im Dorf haben Angst vor ihr.»
    «Ich auch. Ein bisschen.»
    «Weil man nie weiß, was als Nächstes kommt?»
    «Ja. Und weil sie so ganz nebenbei ziemlich oft den Nagel auf den Kopf trifft.»
    «Meinst du, die Person, die diese Briefe geschrieben hat, ist wirklich so unglücklich?», fragte Joanna

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