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Die Schattenhand

Die Schattenhand

Titel: Die Schattenhand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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ist aufgesprungen, als er schon fuhr.»
    «Mit Nachhilfe von mir», sagte ich. «Ich habe sie ins Abteil gezerrt.»
    «Was für ein Glück, dass Sie da waren. Sonst hätte es am Ende noch einen Unfall gegeben.»
    Erstaunlich, welches Unbehagen ein einzelnes zerbrechliches, neugieriges Jüngferlein einem Mann verursachen kann!
    Weitere Qualen freilich blieben mir erspart, denn in diesem Moment brach Mrs Dane Calthrop über uns herein. Sie hatte ihre eigene sittsame alte Jungfer im Schlepptau, doch sie selbst nahm kein Blatt vor den Mund.
    «Guten Morgen», sagte sie. «Ich höre, Sie haben dafür gesorgt, dass Megan sich ein paar anständige Kleider kauft? Sehr vernünftig. Auf die wirklich praktischen Ideen kommen doch nur die Männer. Ich mache mir schon lange Sorgen um das Mädchen. So viele Mädchen mit Grips enden als Halbidioten, nicht wahr?»
    Und mit dieser kühnen Behauptung fegte sie ins Fischgeschäft.
    Miss Marple, die neben mir zurückgeblieben war, zwinkerte mir zu und sagte: «Mrs Dane Calthrop ist eine bemerkenswerte Frau. Sie hat fast immer Recht.»
    «Ich weiß. Es ist beinah zum Fürchten», sagte ich.
    «Das hat Aufrichtigkeit so an sich», nickte Miss Marple.
    Mrs Dane Calthrop kam wieder aus dem Fischgeschäft gefegt, in der Hand einen großen roten Hummer.
    «Hatte je etwas weniger Ähnlichkeit mit Mr Pye?», sagte sie. «So schmuck und stramm…»
     
    IV
     
    Mir bangte etwas vor dem Zusammentreffen mit Joanna, aber die Sorge erwies sich als grundlos. Sie war nicht da, als ich nach Hause kam, und sie kehrte auch zum Mittagessen nicht zurück – zum großen Kummer von Partridge, die eine Vorlegeplatte mit zwei Lendensteaks auftrug und säuerlich bemerkte: «Miss Burton hat extra gesagt, sie wollte hier essen.»
    Ich versuchte Joannas Entgleisung wettzumachen, indem ich beide Steaks aß. Nichtsdestotrotz fragte ich mich, wo meine Schwester stecken mochte. Sie gab sich in letzter Zeit recht geheimniskrämerisch.
    Es war halb vier, als Joanna ins Wohnzimmer stürmte. Ich hatte draußen ein Auto anhalten hören und halb mit Griffiths Besuch gerechnet, aber das Auto fuhr weiter, und Joanna kam allein ins Haus.
    Sie war sehr rot im Gesicht, und sie wirkte verstört. Es musste etwas vorgefallen sein.
    «Was ist los?», fragte ich.
    Joanna öffnete den Mund, schloss ihn wieder, seufzte, ließ sich in einen Sessel fallen und starrte vor sich hin.
    Sie sagte: «Ich hatte einen absolut grässlichen Tag.»
    «Was war denn?»
    «Ich habe unglaubliche Dinge hinter mir. Es war grauenhaft.»
    «Aber was…»
    «Ich wollte nur einen Spaziergang machen, einen ganz normalen Spaziergang – den Hügel hinauf ins Moor. Ich bin Meilen gelaufen – mir war so danach. Dann kam ich zu einer Senke. In der Senke liegt ein Hof – völlig einsam, ein gottverlassener Fleck. Ich hatte Durst, und ich dachte, vielleicht könnte ich ein Glas Milch oder so was bekommen. Also ging ich zu dem Haus hin, und dann ging die Tür auf und Owen kam heraus.»
    «Ja?»
    «Er dachte, es wäre die Gemeindeschwester. In dem Haus war eine Frau, die ein Kind bekam. Er wartete auf die Schwester, und er hatte ihr ausrichten lassen, dass sie noch einen zweiten Arzt brauchten. Sie – es gab Komplikationen.»
    «Ja?»
    «Also sagte er – zu mir: (Kommen Sie, Sie sind besser als gar niemand.) Ich sagte, das kann ich nicht, und er sagte, was soll das heißen? Ich sagte, dass ich so etwas noch nie gemacht hätte und dass ich keine Ahnung hätte…
    Er sagte, das wäre ihm scheißegal. Und dann war er grässlich. Er hat mich angeschrien. Er hat gesagt: ‹Sie sind doch eine Frau, oder nicht, da können Sie einer anderen Frau doch verdammt noch mal helfen!› Und so ging es immer weiter – er sagte, ich hätte doch immer so interessiert getan und behauptet, ich wäre gern Krankenschwester geworden. ‹Alles nur leeres Gerede, oder wie? Sie haben es keine Sekunde lang ernst gemeint, aber das hier ist ernst, und Sie verhalten sich jetzt gefälligst wie ein Mensch und nicht wie eine nutzlose, hirnlose Zierpuppe!› Ich habe unglaubliche Sachen gemacht, Jerry. Instrumente gehalten und abgekocht und ihm zugereicht. Ich bin so müde, dass ich mich kaum auf den Beinen halten kann. Es war furchtbar. Aber er hat die Frau gerettet – und das Kind auch. Es ist lebend zur Welt gekommen. Eine Zeit lang hat er nicht mehr geglaubt, dass er es retten kann. Mein Gott.»
    Joanna bedeckte das Gesicht mit den Händen.
    Ich betrachtete sie mit einer gewissen Genugtuung

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