Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
»Dohor ist sein Vater, und das kann er nicht ausblenden. Für den Tod eines so nahestehenden Menschen verantwortlich sein und dann so weiterleben wie bisher, ist unmöglich. Besonders für einen Mann wie Learco. Zu töten reißt einen tiefen Graben auf, immer, und jedes Mal ist es, als verliere man einen Teil seiner selbst.«
»Aber er hasst ihn doch.« Dubhe blickte sie lange an, und Theana schlug die Augen nieder. »Er bittet dich, es zu tun, weil er dich liebt«, fügte sie leise hinzu. »Alles, was für ihn einmal wichtig war, stellt er für dich infrage. Wenn du es nicht tust, wirst du sterben, und das weiß er.«
»Das ist mir klar.«
»Ja und?«
»Was und? Ich will es nicht. Denn danach würde er selbst auch sterben, langsam, und meine Liebe könnte ihn nicht davor bewahren. Wenn er mich ansähe, würde er immer daran denken, was ich getan habe, und mehr und mehr eine Mörderin in mir sehen.«
Theana ergriff ihre Hand und sah ihr fest in die Augen. »Aber du hast doch keine andere Wahl, Dubhe.«
»Töte mich.«
Wie das metallische Geräusch eines gezogenen Schwertes vibrierten die beiden Worte im Raum.
»Ich kann mich nicht selbst töten. Ich habe es schon versucht, aber der Fluch hindert mich daran. Zwar beschützt mich die Bestie auch vor jedem, der versucht, mich zu töten, aber vielleicht kannst du mit deinen magischen Kräften ...«
»Nein!«, schrie Theana und riss vor Schreck die Augen weit auf. »Niemals! Das kann ich nicht! Und du kannst das nicht von mir verlangen!«
Dubhe blickte sie ernst an. »In den vergangenen Monaten haben wir alle Gefahren gemeinsam überstanden. Und du hast mir immer geholfen. Obwohl ich dich beleidigt und dir das Leben schwer gemacht habe, standest du immer an meiner Seite. Das hätte ich nie für möglich gehalten. Du bist jetzt meine Freundin, und ich kann dir vertrauen.«
»Ich bitte dich, verlange das nicht von mir«, flüsterte Theana verzweifelt. »Dann musst du einen Weg finden, wie ich es selbst tun kann. Aber hilf mir. Wenn ich Dohor nicht töte, ist mir ein grauenhafter Tod gewiss. Aber ich will auf meine Weise ge hen und zu dem Zeitpunkt, den ich wähle. Ich weiß, das ist viel von dir verlangt, doch nun habe ich endlich etwas gefunden, für das es sich zu kämpfen lohnt. Als du damals sagtest, dass in mir nur eine große Leere ist, hattest du völlig recht.« »Da war ich nur wütend auf dich, und ich hatte nicht die Absicht ...« »Aber nun ist alles anders«, unterbrach Dubhe sie. »Nun habe ich etwas gefunden, für das ich leben kann. Daher kann ich jetzt auch sterben, verstehst du?«
Theana konnte nicht anders, als zu nicken. Wer besser als sie selbst, die für ihre einzige Gewissheit so gekämpft und gelitten hatte, hätte das verstehen können? »Ich werde einen Weg finden, dich zu retten«, sagte sie unter Tränen. »Ich werde dich retten, ohne dass du Dohor töten musst. Eine ganze Bibliothek steht mir hier zur Verfügung, und ich mache mich sofort an die Arbeit.«
Dubhe lächelte traurig. Zu viele Enttäuschungen hatte sie erlebt, um noch glauben zu können, dass es vielleicht doch einen glücklichen Ausweg gab. »Gut, aber schwör mir: Wenn es sein muss, hilfst du mir zu sterben.«
»Aber nur, wenn es wirklich keine andere Möglichkeit mehr gibt«, flüsterte Theana mit einem Seufzer.
Dubhe nahm sie in den Arm, und die Magierin gab sich dieser Geste der Zuneigung fast verzweifelt hin. Draußen hatte das Morgengrauen bereits begonnen, den Himmel zu erhellen - zu einem neuen Tag.
Dasselbe Morgengrauen warf auch einen dämmrigen Lichtschein in einen luxuriösen Raum vier Stockwerke höher. Forra, wenige Stunden zuvor im Palast eingetroffen, saß in einem breiten Sessel, und vor ihm kniete ein Mann, der eine Kapuze über dem Kopf trug.
»Erzähl mir, was du auf dem Herzen hast«, murmelte der Statthalter Dohors mit einem scheinheiligen Lächeln auf den Lippen.
Vergebung und Rache
Dubhe und Theana wachten bei Tagesanbruch auf. Es war der Tag, da die
offizielle Vergebung für Neor gefeiert werden sollte, und im Palast herrschte hektisches Treiben.
Als Erstes wiederholte Theana noch einmal, schweigend und mit wenigen einstudierten Gesten, das Ritual, das mittlerweile für beide zur Gewohnheit geworden war. Als sie fertig waren, zogen sie sich rasch an, wieder schweigend und ohne sich in die Augen zu schauen. Dann begaben sie sich in die Küche, um die Anweisungen für die Festvorbereitungen in Empfang zu nehmen. Dubhe war zerstreut.
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