Die Schattenkämpfer 3 - Der Fluch der Assassinen
der Drachenkämpferin vor, und zwar ein Kapitel, das sie mittlerweile bereits Dutzende Male gehört hat. Damit ist es für sie genauso zäh und langweilig geworden wie seine Erklärungen zum Gott Shevraar oder Thenaar. Hinzu kommt noch, dass sie mit niemandem über diese Dinge reden kann, genauso wenig wie sie öffentlich ihre Fähigkeiten als künftige Priesterin zeigen darf. Ihr Vater lächelt, als er ihre gequälte Miene bemerkt: Er versteht sie ja, aber, wie er ihr nun erklärt, sei der einzige andere Text, der von dem Kult handele und nicht von der Gilde verfälscht worden sei, verloren gegangen.
Dieses Buch heiße Der Weg des Geweihten und bandele von der Rolle der Geweihten und ihrer Macht auf der Welt, als Beweis der Größe und Güte ihres Gottes. Theana wird neugierig und fragt ihn, ob dieses Buch auch von ihrer Heldin Nihal handele.
»In einem gewissen Sinn schon«, antwortet ihr Vater, und sie beginnt zu fantasieren und sich diesen Weg der Geweihten wie ein Märchen auszumalen.
Theana konnte sich nicht beherrschen. Sie merkte sich die Signatur und ging zum Regal, einem der staubigsten und am schlechtesten beleuchteten, und fand, was sie suchte, zwischen einigen besonders abgegriffenen und zerschlissenen Büchern.
Der Einband aus hellem Leder war an den Ecken mit kupfernen Beschlägen verstärkt, die im Lauf der Zeit grünlich geworden waren. Unwillkürlich dachte sie an ihren Vater, und wie sehr er sich gefreut hätte, dieses Werk in den Händen zu haben. Sanft strich sie mit den Fingerspitzen darüber, und die Erinnerung an seine Stimme, während er ihr aus der Geschichte der Drachenkämpferin vorlas, bewegte sie tief im Herzen.
Behutsam ging sie die Seiten durch. Hierbei handelte es sich um keine Abschrift, nein, es war das Original, jenes Buch, über das die Jahrhunderte
hinweggegangen waren und das nun, auf verschlungenen Wegen, in die Hände der letzten Priesterin Thenaars gelangt war. Sie schickte ein Dankgebet zu ihrem Gott, während sie das dünne Buch an ihre Brust drückte, ein Buch, das man für so unbedeutend hielt, dass man es in das hinterste Regal, wo niemand es sah, verbannt hatte.
Dieses Mal fiel es ihr leichter. Wie selbstverständlich verstaute sie es unter dem Oberteil ihres Kleides und hatte dabei das Gefühl, dass dieses Werk gewissermaßen ihr gehörte. Als Volco sie zum Abendessen rufen kam, trug Theana es auf diese Weise mit hinaus und drückte es wie einen wertvollen Schatz an sich.
Wie immer in der jüngsten Zeit, war Dubhe auch an diesem Abend nicht da. Theana legte sich auf das Bett und schlug im Schein einer Kerze, die den Raum nur wenig erhellte, das Buch auf. Der Schimmelgeruch, den die Seiten verströmten, war wie ein Parfüm für sie, das nach Kindheit und verlorenen Dingen duftete. In banger Erwartung las sie die ersten Zeilen. Es begann mit einem Gebet, das sie gut kannte, ein Gebet, das ihr Vater sie jeden Morgen hatte aufsagen lassen und das sie immer noch sprach, wenn sie ein Ritual ausführte.
Gelobt seiest du, Shevraar, gelobt seiest du, Herr des Blitzes und des Schwertes, du Schöpfer und Zerstörer, Herr des ewigen Kreislaufs des Lebens, gelobt seiest du. In seinem Namen will ich, Heiraal, nun von seinen auserwählten Kindern erzählen, wie sie zur Welt kommen und wie sie in besonderer Weise ihrem Gott dienen dürfen. Möge Shevraar meine Worte mit seinem Geist erfüllen und mein Vorhaben mit Erfolg krönen.
Am Rand der Seiten bemerkte Theana sogleich einige Anmerkungen. Als sie las, was da stand, stockte ihr das Blut in den Adern.
>Thenaar, nicht Shevraar. <
>Aster, der Geweihte. <
Kein Zweifel, dieses Buch war durch die Hände der Gilde gegangen. Niemand außer den Assassinen hätte Aster jemals als einen Geweihten bezeichnet. Hin- und hergerissen zwischen Wehmut und Abscheu versank sie in der Lektüre. Es war erschreckend, wieder bestätigt zu sehen, wie sehr sich der Irrglaube der Sekte mittlerweile durchgesetzt hatte und in welchem Maß Shevraar und das, wofür er stand, verdrängt worden war durch Thenaar.
In den meisten Fällen werden die Geweihten von dem Gott selbst auserwählt: Heerführer und Krieger, Weise und Magier, Priester oder Männer, die schon von klein auf ein besonderes Talent für die Kunst des Kriegführens oder die Bewahrung des Friedens zeigen. Denn zwei Seiten hat Shevraars Gesicht, und dies darf man nie vergessen. >Ketzerei< war am Rand in roter Schrift vermerkt. Theana war zornerfüllt. Mit diesem Begriff hatte die Gilde
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