Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
an uns vorbei und bleibt an der Stelle stehen, wo der dunkelbraune Teppich auf die Küchenfliesen trifft.
»Kelia, meine Liebe. Könntest du bitte von der Kältemaschine weggehen?«
»Das ist ein Kühlschrank.« Sie streckt eine Hand aus, ohne sich umzudrehen und Lorn anzusehen. »Meine Edarratae reagieren kaum darauf.«
»Aber sie reagieren darauf«, entgegnet er. »Manchmal glaube ich wirklich, du schädigst deine Magie nur, um mich zu ärgern.«
»Hier.« Sie reicht ihm eine Flasche Weißwein und sieht dann Aren an. »Es ist nichts zu essen da. Wir müssen wohl was besorgen.«
»Ich gehe einkaufen«, schlage ich vor. Zu schnell. Aren sieht mich an, wie er mich nicht mehr angesehen hat, seit ich den letzten Fluchtversuch geplant habe. Er denkt, ich will weglaufen. Doch das will ich gar nicht. Zumindest bezweifle ich das, aber ich brauche Zeit zum Nachdenken. Ich wäre gern mal allein.
»Möchtest du nicht lieber erst duschen?«, erkundigt er sich.
Ich sehe an mir herunter. Himmel noch eins. So kann ich kaum vor die Tür gehen. Meine Kleidung ist voller Blut, da würde man mich doch sofort verhaften.
Man sollte mich auch verhaften …
Nein. Ich werde jetzt nicht darüber nachdenken.
»Ja«, erwidere ich. »Ich gehe duschen.«
Kelia stellt einige Weingläser auf die Küchentheke. »Ich habe Kleidung zum Wechseln in Naitos Kleiderschrank. Dann muss jemand anders einkaufen gehen.«
»Kelia«, sagt Lorn warnend.
Sie wirft ihm einen finsteren Blick zu, öffnet einen Riss …
»Kelia!«
… und verschwindet.
»Nom Sidhe« , flucht Lorn. »Sie hätte wenigstens …« Er hält inne. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie er sich zu mir umdreht. »Du. Schattenhexe. Lies ihre Spur.«
Ich starre sie bereits an. Die tanzenden Schatten könnten genauso gut magnetisch sein, da ich den Blick nicht abwenden kann. Sie ist im Reich. Im Norden. In Corrist, würde ich vermuten, weil sie nach Naito sucht.
Lorn drückt mir eine aufgeschlagene Zeitschrift in die linke und einen Stift in die rechte Hand. Ich zeichne die verschlungenen Linien auf, die ich vor mir sehe, und blättere um, als ich näher an das südliche Viertel der Stadt heranzoome, um die Schatten zu skizzieren und ihre Position, so gut ich kann, zu bestimmen.
»Corrist«, sage ich, damit die Magie funktioniert.
Lorn sieht mir über die Schulter. Ich habe die Karte über die grafische Darstellung eines Atomkerns gezeichnet. Hoffentlich werden die Linien nicht von zu viel Text verfälscht.
»Danke.« Einen Augenblick später hat Lorn ebenfalls einen Riss geöffnet. Ich konzentriere mich auf das Magazin in meiner Hand, um Lorns Schatten auszublenden. Es ist das Popular Science . Zwischen den Schlagzeilen ist das Foto einer Leiche zu sehen. Sie sieht zwischen meinen blutbefleckten Fingern hervor.
Meine Hände zucken. Ich werfe die Zeitschrift auf die Theke, balle die Fäuste und laufe in Naitos Schlafzimmer, um mir saubere Kleidung zu holen.
Nach dem Duschen trödele ich eine Weile im Bad herum. Meine Haut ist sauber, mein Gewissen jedoch nicht. Es kommt mir eher so vor, als wären die Schuldgefühle noch schlimmer geworden. Als die warme, feuchte Luft schwer wird und mich bedrückt, stehe ich auf und öffne die Tür einen Spaltbreit. Ich will eigentlich nicht rausgehen, aber dann stehe ich doch am Ende des Flurs. Das Wohnzimmer ist voller Fae. Aren unterhält sich mit einem schwarzhaarigen Mann, der gerade den Kopf schüttelt. Er trägt eine schwarze Hose und eine reich bestickte Jacke und muss ein Edelmann sein. Außerdem ist er in Begleitung mehrerer Wachen – insgesamt vier –, die alle bewaffnet und bereit sind, ihren Arbeitgeber zu verteidigen.
Mein Blick wandert zur Tür. Kyol hat mir schon vor Jahren gesagt, dass das nicht mein Krieg ist. Ich hätte auf ihn hören sollen, aber jetzt kann ich es immer noch tun. Ich kann all das zurücklassen und ein normales, menschliches Leben führen, ein Leben, bei dem ich nicht in die Lage komme, vielleicht jemanden töten zu müssen, um selber zu überleben.
Ich schließe die Augen und hole tief Luft. Nein. Der Rückzug ist jetzt keine Option mehr. Vielleicht waren die Königstreuen die Guten, als ich das Reich zum ersten Mal betreten habe, aber nun sind sie es nicht mehr. Ich muss all das wiedergutmachen, was ich die letzten Jahre angerichtet habe.
Als ich gerade weitergehen will, um mich im Wohnzimmer unter die Fae zu mischen, sehe ich auf einmal Zwillingsblitze vor den Fenstern, die sich nach hinten
Weitere Kostenlose Bücher