Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
ich, als sie den Trinkschlauch wegnimmt.
»Wenn du dankbar bist, dann solltest du nicht wieder versuchen zu fliehen.«
Ich schnaube. »Klar. Kein Problem.«
Sie kneift die Augen zusammen und beugt sich vor, um das Weckglas abzustellen, aber ihr Blick wirkt nicht wirklich wütend. Ich glaube, dass wir beide versuchen, einander zu hassen, und es nicht schaffen.
Das Knarren der Tür lässt uns beide aufhorchen. Ich höre, wie Kelia nach Luft schnappt, und dann rennt sie auf einmal durch das Zimmer und wirft sich dem Besucher in die Arme.
»Naito!«, schreit sie auf.
Ich blinzle einige Male und versuche, sie nicht mit offenem Mund anzustarren, aber sie küsst diesen Typen, und auch wenn sein Name nicht so klingt, ist er definitiv kein Fae .
Kelia macht einen winzigen Schritt nach hinten, lässt ihre Hände aber auf der Brust des Mannes liegen, als müsse sie sich vergewissern, dass er wirklich real ist. Da sie sich jetzt nicht mehr küssen, kann ich sein zerzaustes schwarzes Haar und seine scharfen Gesichtszüge erkennen. Er ist zumindest zur Hälfte Asiate, aber zu einhundert Prozent Mensch.
Kelia küsst ihn erneut, dieses Mal länger und inniger, und ein Chaosschimmer zuckt von ihrem Gesicht zu seinem, tanzt seinen Hals hinunter und verschwindet in seinem blutbefleckten Hemdkragen.
»Was ist passiert?«, erkundigt sie sich. »Bist du verletzt?«
»Mir geht es gut«, antwortet Naito. »Das ist nicht mein Blut.«
Wieder fällt sie ihm in die Arme. Er drückt sie an sich, doch sein Blick ist auf mich gerichtet. Ich bin viel zu verblüfft, um woanders hinzusehen. Er ist ein Mensch, sie eine Fae, und ich frage mich natürlich, was wohl passiert wäre, wenn sich Kyol der Rebellion angeschlossen hätte. Könnten wir dann zusammen sein? Ich begehre ihn mehr als alles andere, aber ich habe ihn nie gebeten, den Hof zu verlassen. Würde er es tun, wenn ich ihn darum bitte?
Sofort sind die Schuldgefühle da. Ich habe kein Recht, ihn darum zu bitten.
Naito schiebt Kelia ein Stück weit von sich weg und streicht mit den Händen über ihre Arme. Als er an ihren Handgelenken ankommt, hält er inne, runzelt die Stirn und sieht die Armbanduhr an, die ich ihr geborgt habe.
»Was zum Teufel ist das?«, will er wissen.
Sie springt ein Stück nach hinten, als ob er sie gebissen hätte. Ihre rechte Hand bedeckt rasch ihr linkes Handgelenk. »Es ist nichts.«
»Das haben wir doch schon besprochen« , sagt er. Zumindest glaube ich, dass er das sagt. Anscheinend bin ich nicht der einzige Mensch, dem die Rebellen Fae beigebracht haben. Er schimpft weiter mit ihr, spricht jetzt aber so schnell, dass ich nicht mehr folgen kann. Kelia schmollt, aber sie lässt zu, dass er ihr die Uhr abnimmt.
Er geht durch das Zimmer und hält sie mir hin. »Das ist deine, nehme ich an.«
Ich nicke und bin noch immer sprachlos.
Er wirft die Uhr auf mein Bett. »Gib sie ihr nie wieder. Weder die Uhr noch sonst irgendeine Technologie.«
Ich bin unschlüssig, ob ich seine Besorgnis um Kelias Wohlergehen nervig oder rührend finden soll. Eigentlich hätte sie meine Uhr gar nicht berühren, geschweige denn tragen dürfen. Ein blasser Kreis aus bläulichen Schatten zeichnet sich auf ihrem Handgelenk ab, fast wie ein blauer Fleck, nur dass die Farbe dafür zu durchscheinend ist. Vermutlich wird eine derart einfache Technologie ihrer Magie nicht dauerhaft abträglich sein.
Naito sieht mich noch immer an. Ich schätze, dass er auf eine Antwort wartet, doch dann meint er: »So. Du bist also Arens Schattenhexe.«
Ich schaffe es gerade so, nicht die Augen zu verdrehen. »Ich bin nicht Arens irgendwas.«
»Schon klar.« Er zieht einen Mundwinkel nach oben. »Ich habe gehört, du bist besser, als man gerüchtweise vernimmt.«
»Ich bin besser als du.« Als die Worte aus meinem Mund kommen, schneide ich beinahe eine Grimasse. Das hätte ich nicht sagen sollen, auch wenn es zweifellos stimmt.
»Wie kommst du auf die Idee, dass ich Schatten lese?«
»Warum solltest du sonst hier sein?« Ich muss Kelia einfach ansehen, als sie hinter ihm hervortritt.
»Vielleicht habe ich einfach nur die Gabe des Sehens«, erwidert er und verschränkt seine Finger mit Kelias.
»Vielleicht.« Ich bin nicht neidisch auf die beiden. Nein, das bin ich nicht.
Kelias Hand drückt die seine, und sie sieht zu ihm auf. »Was ist passiert?«
Sein Lächeln schwindet, und er sieht auf einmal müde aus. »Der Hof verhaftet Fae, die mit uns sympathisieren, in der Hoffnung,
Weitere Kostenlose Bücher