Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
wenn er mich anstarrt, ist klar, dass er damit Naito und Kelia meint. Ich würde sie gern bitten zu bleiben, aber Naito nimmt Kelias Arm. Sie verlassen das Zimmer und lassen die Tür nur einen Spaltbreit offen stehen.
Okay. Bleib ruhig. Ich muss irgendetwas tun oder sagen können, um das zu verhindern, was er mit mir vorhat. Soll ich mich für meinen Fluchtversuch entschuldigen? Ihm anbieten, für ihn die Schatten zu lesen? Allein aus diesem Grund hat er mich so lange am Leben gelassen, und weil ich die Verschwundenen Tore kenne, aber eigentlich kommt Aufgeben gar nicht infrage. Kyol würde nicht aufgeben. Er würde sich so lange widersetzen, wie er nur kann, um dann …
Aren zieht ein Messer aus seinem Schwertriemen.
… oder vielleicht hält er mich auch für eine Närrin, weil ich nicht tue, was immer möglich ist, um am Leben zu bleiben.
Ich mache den Mund auf, um Aren etwas anzubieten und mir so mehr Zeit zu verschaffen, aber mir bleiben die Worte in der Kehle stecken. Der Schmerz breitet sich bis in meine rechte Brustseite aus, als ich husten muss, um meine Luftröhre freizubekommen, die mir die Angst plötzlich zuschnürt. Aren hockt sich vor mich hin und sieht mich mit seinen silbernen Augen an.
»Ich werde dir nicht wehtun.« Obwohl er das beinahe knurrend sagt, ist er sehr vorsichtig, als er die Bandage um meinen verletzten Arm mit dem Messer aufschneidet. Ich schnappe nach Luft, als die Schiene und der Verband auf den Boden fallen. Es tut weh, wäre aber noch sehr viel schmerzhafter gewesen, wenn mir Kelia die Tabletten nicht gegeben hätte.
Vorsichtig legt Aren beide Hände um den Bruch und wirkt seine Magie. Ich beiße die Zähne zusammen, um nicht laut aufzuschreien. Seine Berührung fühlt sich an wie Feuer. Heißes, geschmolzenes Feuer. Gut, dass ich meinen Arm anstarre, sonst hätte ich geglaubt, mein Fleisch würde unter Arens Fingern schwarz und knusprig werden.
Als der Schmerz schlimmer wird, strecke ich die linke Hand aus und packe Arens Schulter. Ich bohre meine Fingernägel tief in seine Muskeln und kneife die Augen zu. Mein Instinkt rät mir, ihn wegzuschubsen, aber ich habe so etwas schon durchgemacht. König Atroth hat drei Heiler an seinem Hof, und in meinem ersten Jahr als Schattenleserin wäre ich beinahe gestorben, als wir versuchten, das Falschblut Thrain aufzuspüren.
Der Schmerz lässt nach. Der Arm tut zwar noch immer weh, aber das Feuer ist weg, und ich kann wieder atmen.
Arens Hände liegen noch immer auf meiner Haut. Mir fällt auf, dass seine Knöchel geschwollen und schmutzig sind, außerdem ist die Haut aufgerissen. Blut, Schweiß und Schmutz kleben auf einer tiefen Schnittwunde, die sich von seinem Handgelenk bis zum Ellbogen erstreckt. Die Wunde muss er versorgen, bevor sie sich noch entzündet.
Endlich lässt er meinen Arm los und legt eine Hand auf meine Hand, die sich noch an seine Schulter klammert. Ich lockere den Griff und nehme sie weg, meine Finger gleiten unter seinen hervor.
Ich schlucke einmal, zweimal, dann finde ich endlich meine Stimme wieder. »Warum nicht?«
Ein Edarratae zuckt über seinen Kiefer. »Was meinst du?«
»Warum willst du mir nicht wehtun?«
Er sieht mir in die Augen, vielleicht eine Sekunde zu lange, dann wendet er den Blick ab. »Das hat Lena bereits getan.«
»Du hast auch nichts unternommen, als ich aus dem Fenster geklettert bin«, stelle ich fest.
Er setzt sich neben mich aufs Bett. »Möchtest du, dass ich dir wehtue?«
»Nein.« Ich sehe auf meinen verletzten Arm hinunter, gerade rechtzeitig, um zwei blaue Blitze an der Stelle, an der eben noch der Bruch war, über meine Haut zucken zu sehen. Das ist merkwürdig. Aren berührt mich doch gar nicht mehr. Die Chaosschimmer dürften nicht mehr da sein. Ich reibe mit der Hand über den Arm, als ob ich sie dadurch wegwischen könnte.
»Ich habe die Amajur , die Magie, in dir gelassen«, erklärt er mir. »Sie wirkt noch und heilt den Bruch. In wenigen Minuten ist sie verschwunden. Wo bist du noch verletzt?«
»Mir geht’s gut.« Ich erinnere mich nicht mehr daran, ob die Magie der Heiler des Königs ebenso funktioniert hat, aber damals war ich ja auch nur halb bei Bewusstsein.
»Wo bist du noch verletzt?«, wiederholt Aren mit mehr Nachdruck in der Stimme.
Ich zögere. »Am Brustkorb und am Rücken«, sage ich dann.
Sein Blick wandert über meine Bluse. Oh, oh. Die ziehe ich bestimmt nicht aus. Als er näher an mich heranrückt, packe ich den Saum und ziehe ihn nach unten.
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