Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
mir eine Wasserflasche. »Trink was.«
Ich habe Angst zu schlucken, aber meine Lippen und meine Kehle sind wie ausgetrocknet. Ich greife nach dem Wasser. Mein Arm ist schwer, und meine Hand zittert so sehr, dass ich ihre versehentlich berühre.
Vor Schreck zucke ich zurück und lasse die Flasche fallen, als ein Chaosschimmer in meine Haut zuckt. Anstelle des heißen, erregenden Gefühls ist der Blitz kalt und fast schon betäubend. Mein Blick wandert zwischen meiner Hand und ihrem Gesicht, das zu Stein geworden ist, hin und her. Sie hebt die Flasche auf und wirft sie mir gegen die Brust. » Tor’um sind nicht ansteckend.«
Doch aus diesem Grund bin ich nicht zurückgewichen. Ich bin ein Mensch, und sie könnte meine Magie ohnehin nicht beschädigen, da ich über keine verfüge, aber mir sind noch nicht viele Tor’um begegnet. Und ich habe erst recht noch keine berührt. Sie bleiben im Allgemeinen unter sich. Ob sie das freiwillig tun oder weil sie Ausgegrenzte sind, ist mir dabei nicht ganz klar. Die Fähigkeit, Risse zu öffnen, ist tief in der Kultur der Fae verankert. Sie nicht zu besitzen ist ein riesiges Handicap, das sich kein Fae wünscht. Dabei ist es ohne Belang, dass einige Tor’um ein paar magische Praktiken ausüben können; Tor’um sind nicht fähig, unverzüglich von einem Punkt zu einen anderen ohne Hilfe zu reisen, daher hat die Fae-Gesellschaft sie ausgegrenzt.
»Du hast eine halbe Stunde«, sagt sie und steht auf. »Sei bis dahin bereit, ins Haus gebracht zu werden.«
Ich habe schon eine Entschuldigung auf den Lippen, aber meine Stimme versagt. Also trinke ich einen Schluck Wasser. Doch es spendet mir keine Energie, und die Hintertür des Hauses ist so weit weg. Ich weiß nicht, warum sie will, dass ich reingehe. Die anderen Fae wurden geheilt, aber es sieht nicht so aus, als ob sie bald aufbrechen würden. Sie sitzen noch weiter von mir entfernt als vorher, so weit, dass ich ihre Unterhaltungen nicht verstehen kann, und irgendwer hat ihnen etwas zu essen und zu trinken gebracht. Man kümmert sich um sie.
Ich lehne den Kopf gegen den Zaun und schließe erneut die Augen. Nur Sekunden später, so kommt es mir zumindest vor, spüre ich, dass mich jemand beobachtet. Aren. Ich frage mich, wie lange er schon da ist, wie lange er schon mit den Armen auf die Knie gestützt vor mir sitzt. Seiner Haltung nach schon eine ganze Weile, und bei diesem Gedanken fühle ich mich unwohl. Sein Schweigen macht es auch nicht besser. Ich schließe wieder die Augen und hoffe, dass er weggeht.
Doch er tut es nicht.
»Darf ich dich jetzt heilen?«, fragt er leise.
»Du bist doch derjenige, der mich erst verletzt hat.« Meine Stimme ist schwach und rau, und die Wunde an meinem Hals spannt bei jedem Wort, aber zumindest kann ich sprechen.
Aren antwortet lange Zeit nicht. Ich starre das taufeuchte Gras an. Ich sollte jetzt Angst haben oder wütend sein, aber so ist es nicht. Ich spüre gar nichts, bis Aren leise sagt: »Es tut mir leid.«
Ich ziehe die Unterlippe zwischen die Zähne. Ich will ihm nicht glauben, aber in seiner Stimme liegt so viel Reue, ebenso in seinem Blick, selbst die Luft um ihn herum scheint voll davon zu sein.
»Ich tue dir nicht gern weh«, meint er.
»Du hättest mich schon vor Stunden heilen können.« Eigentlich sollten meine Worte wütend klingen, aber ich bin zu müde und zu verletzt, um ihn zu hassen.
Er legt den Kopf ein wenig schief. »Ich habe es versucht.«
Zuerst glaube ich, er meint, er hätte es versucht, aber nicht mehr genug Magie dafür gehabt. Schließlich hat er im Laufe der Nacht ein Dutzend Fae geheilt. Dann kommt die Erinnerung. Sie ist verschwommen, aber ich erinnere mich daran, wie Aren neben mir kniet und die Hände nach mir ausstreckt und ich tretend und schreiend verlange, dass er mich ja nicht anfasst.
Als Antwort zucke ich nur mit den Achseln.
Eine Minute vergeht schweigend. »Die Tor’um möchten, dass du reinkommst, bevor ihre Nachbarn aufwachen«, erklärt er dann.
Das Obergeschoss des Nachbarhauses sieht über den Zaun hinweg. Darüber werden die Sterne am Himmel langsam blasser. Es ist fast schon Morgen. Wollen mich die Tor’um aus diesem Grund im Haus haben? Weil jemand vorbeikommen und sehen könnte, wie ich hier blutbeschmiert hocke? Wenn ich schreie, würde mich dann jemand hören? Würde mir jemand helfen?
Doch da ich bestimmt keinen Schrei ausstoßen kann, frage ich nur: »Warum sind sie hier?«
»Sie haben sich dafür entschieden«,
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