Die Schattenleserin - Nachtschwarze Träume: Roman (German Edition)
mich.« Er legt eine Hand auf meinen Rücken und schiebt mich vorwärts. »Komm rein. Ich werde dich Taltrayn nicht so zurückgeben. Du kannst dich waschen und dich ausruhen.«
Meine Schritte sind wacklig. Ich klammere mich an Aren und warte drauf, dass meine Fingerspitzen und meine Lippen aufhören zu prickeln.
»Ist alles okay?«, fragt er.
Sobald mir nicht mehr schwindlig ist, sehe ich ihn an. »Dir ist doch klar, dass du da einen Anzug tragen musst?«
Er legt den Kopf ein wenig schief. »Was ist ein Anzug?«
16
I n Texas ist Mai. Die Nacht ist nicht kalt, aber auch noch nicht warm genug, um die Restkälte des Zwischenreichs zu vertreiben. Ich bin mir nicht sicher, ob ich aus diesem Grund eine Gänsehaut habe oder wegen des links neben mir auf einem Grabstein sitzenden Fae, über den Blitze zucken. Ich habe Lorn gesagt, dass es sich nicht gehört, sich dorthin zu setzen, aber er wollte es mir nicht glauben, dass Menschen ihre Toten begraben, in Gruben unter der Erde verschwinden lassen.
Ich schätze, dieser Friedhof ist ein ebenso guter Ort wie jeder andere, um auf Aren zu warten. Eine dichte Hecke trennt den Friedhof von der Straße hinter uns und dem palastartigen, von zahlreichen Lampen angestrahlten Gebäude auf dem Hügel vor uns. Zwischen dem Friedhof und dem Seiteneingang der Villa liegt ein riesiger Garten. Dort sollen wir Kyol und Lena treffen. Ich wünschte nur, dass sich Aren beeilt und endlich hier eintrifft.
»Freust du dich darauf, zu deinem Typ zurückzukehren?«
Ich lasse mir nicht anmerken, dass ich Lorns Worte überhaupt gehört habe.
Er kichert. »Keine Sorge, McKenzie. Ich bin sehr gut darin, Geheimnisse zu bewahren. Du könntest mir ruhig verraten, wo sich das Sidhe Tol befindet, ich würde es auch niemandem weitersagen.«
Ich lache auf und drehe mich endlich zu ihm um. »Ich habe mich schon gefragt, warum du überhaupt hier bist.«
Er legt die Hand auf die Brust und sieht mich verwundert an. »Was? Ich wollte einfach meinen Beitrag leisten.«
»Vergiss es«, erwidere ich. »Du hast deine Chance in Lyechaban verspielt. Jetzt hast du mir nichts mehr zu bieten.«
»Ich habe jedem irgendwas zu bieten. Du musst dich nur entscheiden …«
Erneut bekomme ich eine Gänsehaut. Lorn murmelt etwas über Timing, als der Friedhof von einem Blitz erhellt wird. Aren tritt aus einem Riss, und mein Magen schlägt einen Purzelbaum. Aren sieht gut aus. Überaus gut sogar. Er trägt einen teuren Anzug, vermutlich bei Naiman Marcus oder einem anderen Edelladen gestohlen. Die Hose schmiegt sich an seinen Hintern, und das Jackett fleht förmlich danach, dass man seine Hände darunterschiebt und die feste Brust und die muskulösen Schultern streichelt.
Aren starrt mich an. Zuerst glaube ich, er registriert meine Reaktion auf ihn. Dann gleitet sein silberner Blick zu meiner Brust, zu meinem in Seide gehüllten Bauch, meinen Hüften und schließlich zu meinen nackten Beinen und den offenen hochhackigen Schuhen. Ich rutsche unruhig hin und her. Ich trage nur selten Kleider – schließlich weiß ich nie, wann die Fae des Hofes auftauchen und mich bitten, schattenzulesen –, und ich fühle mich in einem Kleid irgendwie unwohl und verletzlich.
Dann sieht mir Aren wieder in die Augen. Er blinzelt einmal, räuspert sich und hält dann eine glänzende blaue Krawatte hoch. Sie passt nicht ganz zur Farbe der Chaosschimmer, die über seine Hände und sein Gesicht tanzen, aber fast. »Was fange ich damit an?«
»Ich glaube, die kommt um deinen Hals.«
Aren fährt zu Lorn herum. »Was hast du hier zu suchen?«
Lorn steht vom Grabstein auf. »Ich leiste der Nalkin-Shom nur Gesellschaft.«
Erneut dreht sich Aren zu mir um und mustert mich von Kopf bis Fuß. Dieses Mal ist es fast so, als würde er nach einer klaffenden Wunde Ausschau halten. »Ist alles okay?«
»Ja«, antworte ich und runzle die Stirn. Lorn hat mich am Tor erwartet, das sich einige Meilen nördlich des Hauses der Tor’um befindet. Ein Rebell namens Kian hatte mich bis zum Tor begleitet und mir dort einen Ankerstein in die Hand gedrückt. Danach war ich mit Lorn alleine. Ich war davon ausgegangen, dass er mich durch den Riss hierher begleiten sollte. Hatte ich mich da etwa geirrt?
»Er hat dir nicht wehgetan?«, erkundigt sich Aren.
Ein Gesprächsfetzen kommt mir wieder in den Sinn. Aren hatte gesagt, es würde wehtun, wenn mir Lorn den Standort des Sidhe Tol mit Gewalt aus dem Kopf holen müsste. Damals in Lyechaban kam mir Lorns
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