Die Schattenmatrix - 20
wackelte mit den Zehen in der Strumpfhose. Die war zwar feucht, aber nicht richtig nass, deshalb beschloss Margaret, sie vorläufig anzubehalten. Der Küchenboden lud nun wirklich nicht zum Barfußlaufen ein.
Erschöpft lehnte sie sich für einen Moment an die Wand und gewöhnte sich langsam daran, dass sie es vergleichbar warm und trocken hatte. Schließlich nahm sie ihre Stiefel und den Gürtel mit dem Beutel daran und ging zurück in die Küche.
Nachdem Margaret die Stiefel neben den Herd gestellt hatte, beugte sie sich über Mikhail. Er fühlte sich warm an und
hatte schon mehr Farbe im Gesicht, aber er war immer noch bewusstlos. Margaret überlegte kurz, ob sie ihn mit Hilfe ihrer Hand wecken sollte. Dann hielt sie den Gedanken für dumm. Mikhail brauchte Zeit, um sich von seinem Matrixschock zu erholen, und sie war zu müde, um ihm nützen zu können, so gerne sie es auch wollte. Aber sie musste sich irgendwie beschäftigen, damit sie nicht immerzu vor sich hin grübelte. Margaret entdeckte einen Besen, der in der Ecke lehnte. Sie nahm ihn und begann zu fegen. Die gleichmäßige Bewegung beruhigte sie, und nach einer Weile verloren sich ihre Ängste.
Sie arbeitete sich an einer Seite des Tisches entlang und um das Ende herum, bevor ihre Kräfte schwanden. Sie ließ sich auf die nächstbeste Bank fallen und bebte am ganzen Körper. Trotz der Wärme im Raum und der körperlichen Anstrengung fror sie. Aber sie war nicht nur körperlich erschöpft, alles, was sie in den letzten Stunden erlitten hatte, brach nun über sie herein und überwältigte sie völlig. Tränen liefen ihr über die Wangen, und sie hielt mühsam ein lautes Schluchzen zurück, das bereits in ihrer Kehle aufstieg. Margaret wusste nicht, wie lange sie dort gesessen und lautlos geweint hatte. Irgendwann nahmen ein Paar rauhe Hände ihr den Besen weg, und nach einer Weile stieg ihr ein verlockender Essensgeruch in die Nase. Der Mund wurde ihr wässrig. Essen. Sie schnupperte und versuchte, mit dem Weinen aufzuhören, aber es gelang ihr nur für kurze Zeit. Dann ging es wieder von vorn los, und zu Margarets Hungergefühl kam auch noch die Scham über die eigene Schwäche.
Die Frau, die ihr das Nachthemd gegeben hatte, brachte ihr nun eine kleine irdene Schale, die dampfte und nach Krautern duftete. »Trinkt das, und bald werdet Ihr neuen Mut fassen, Chiya.«
»Danke«, flüsterte Margaret. Sei umfasste die Schale mit beiden Händen und spürte, wie die gesegnete Wärme in ihre Finger kroch. Sie kostete und erwartete einen grässlichen und sehr gesunden Kräutertrunk, doch stattdessen hatte sie eine angenehm nach Minze schmeckende und mit Honig gesüßte Flüssigkeit im Mund, die ihre Kehle wie Seide hinablief. Sie spürte, wie die Wärme des Getränks ihren Magen erreichte und ihren schmerzenden Körper entspannte. Als sie fast ausgetrunken hatte, fiel ihr ein, dass sie das Getränk kannte, sie hatte es auf der Reise nach Neskaya mit Rafaella getrunken. Wie hatte Rafaella es genannt - Reisetee? Die Hauptzutat war Bitterwurz, ein starkes Stimulans. Mit Honig und Bergminze ließ es sich allerdings trinken.
Der Geschmack und die Erinnerung ließen ein Gefühl der tiefen Verbundenheit mit ihrer Freundin entstehen. Sie wünschte, Rafaella wäre jetzt bei ihr, und fragte sich, was die Entsagende von diesen früheren Mitgliedern ihres Ordens gehalten hätte. Margaret war sich sicher, dass es ihrer Freundin gefallen hätte, Damila und die anderen zu treffen, und sie hoffte, ihr eines Tages davon erzählen zu können. Der Reisetee rüttelte Margaret wach, sie begann plötzlich vor Munterkeit zu vibrieren. Sie registrierte alles gleichzeitig, ein Zustand, den sie zu gleichen Teilen der Erschöpfung und dem Zeug in der Schale zu verdanken hatte. Sie empfand eine trügerische Klarheit, alles, was sie ansah, wirkte heller als sonst. Während sie darauf wartete, dass diese Empfindung nachließ, bemerkte sie, dass der Tisch sauber geschrubbt und an einem Ende mit einem Tischtuch gedeckt war. Sie roch eine beißende Mischung aus gebratenen Vögeln, Kräutern, Gewürzen, Rauch und ihrem eigenen Schweiß. Eine Frau stand am anderen Ende des Tisches und schlug etwas in einer großen Schüssel, offenbar knetete sie einen Teig. Margaret stieg ein Hauch von Natrium in die Nase, und sie lächelte. Ein Hefebrot würde allerdings erst in Stunden fertig
sein, und ihr lief jetzt bereits in freudiger Erwartung das Wasser im Munde zusammen. Margaret sah, wie die Frau den Teig
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