Die Schattenplage
deine Sache gut«, ermutigte Neil sie. »Brauchst du eine Pause?«
Kendra nickte. Während des Kletterns neben dem Wasserfall war sie so voll Adrenalin gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, wie müde ihre Gliedmaßen sich anfühlten. Kendra zog ihre Kapuze hoch und wartete einige Minuten auf dem Felsvorsprung, bevor sie sich wieder auf den Weg machte.
Die Treppe erhob sich jetzt in vielen kurzen Fluchten. Manchmal folgte das fließende Wasser dem Weg der Stufen, manchmal quoll es über und nahm eine Abkürzung. Sie überwanden Flucht um Flucht und Treppenabsatz um Treppenabsatz. Kendras Beine schmerzten, und ihr ging die Puste aus, so dass sie regelmäßigere Pausen brauchte, je länger sie kletterte. Der Wind wehte jetzt heftiger, peitschte ihren Poncho auf, schleuderte ihr den Regen entgegen und machte selbst die einfachsten Abschnitte der Treppe mühsam.
Nachdem sie sich einen schmalen Felsvorsprung entlanggeschoben hatte, stand Kendra am Fuß der letzten Treppenflucht. Sie war beinahe so steil wie die Treppe unten neben dem Wasserfall, nur dass sie diesmal direkt durch das Wasser würden klettern müssen.
»Das ist die letzte Treppe!«, rief Kendra Neil durch den Sturm zu. »Sie ist steil, und das Wasser fließt schnell. Sollen wir abwarten, ob der Sturm sich legt?«
»Die Mesa versucht, uns wieder hinunterzujagen«, erwiderte Neil. »Geh weiter!«
Kendra ging platschend vorwärts und kletterte auf Händen und Füßen weiter. Wasser saugte an ihren Beinen und spritzte ihr von den Armen ins Gesicht. Ob sie sich bewegte oder stillhielt, es fühlte sich an, als wäre der rauschende Fluss drauf und dran, ihr auf den glitschigen Stufen den Halt zu nehmen. Jeder Schritt war ein Risiko, führte sie aber höher hinauf, während die anderen in ihrem Kielwasser folgten.
Ein Fuß rutschte ihr weg, als sie das Gewicht darauf verlagerte, und sie krachte mit den Knien schmerzhaft auf eine Stufe. Wasser umströmte ihre Oberschenkel, als Neil ihr eine Hand auf den Rücken legte und ihr wieder auf die Beine half. Höher und höher kletterte sie, bis die Hochfläche nur noch zehn Schritt entfernt war, dann fünf, und schließlich streckte sie ihren Kopf über den Rand der Mesa hinaus und erklomm die letzten Stufen. Erleichtert trat Kendra von der Treppe und dem Bach auf festen, mit Pfützen übersäten Fels.
Die anderen kamen nacheinander herauf, bis alle oben auf der Mesa standen. Der Wind drosch hier noch heftiger auf sie ein als während des Aufstiegs. Ein Blitz zuckte am Himmel, der erste, den Kendra seit ihrem Aufbruch bemerkt hatte. Einen Moment lang konnten sie die ganze Fläche der Mesa sehen. In der Ferne, etwa in der Mitte, erkannte Kendra uralte Ruinen, Schicht um Schicht zerbröckelnde Mauern und Treppen, die einst einen noch beeindruckenderen Pueblo-Komplex gebildet haben mussten als die Gebäude unten bei der Hazienda. Für einen Moment erhellte der Blitz eine Gruppe von Tänzern, die auf der ihnen zugewandten Seite der Ruinen wild im Regen umhersprangen. Dann erlosch das Licht, und die Feiernden waren selbst für Kendras scharfe Augen wieder unsichtbar. Donner grollte, gedämpft vom heulenden Wind.
»Kachinas!«, rief Neil.
Der nicht mehr ganz junge Navajo befreite Kendra schnell von der Kletterausrüstung, wobei er sich nicht die Mühe machte, ihr das Geschirr abzunehmen. Wieder zuckte ein Blitz auf und offenbarte, dass die Gestalten in ihrem hektischen Tanz innegehalten hatten. Die Feiernden stürmten jetzt auf sie zu.
»Was bedeutet das?«, rief Warren.
»Das sind Kachinas oder andere Wesen ihrer Art!«, brüllte Neil. »Uralte Geister der Wildnis. Wir haben sie bei einer Zeremonie gestört, mit der sie den Regen willkommen heißen. Wir müssen Schutz in den Ruinen suchen. Haltet eure Waffen bereit.«
Tammy hatte Mühe, das Seil zu lösen, das an ihr befestigt war, also trennte sie es mit ihrem Tomahawk durch.
»Wie kommen wir dorthin?«, fragte Warren.
»Nicht direkt auf die Kachinas zu«, antwortete Neil und begann in gebückter Haltung und sicherem Abstand am Rand der Hochfläche entlangzulaufen. »Wir müssen versuchen, sie zu umgehen.«
Kendra folgte ihm, obwohl ihr gar nicht gefiel, dass der Rand des Felsplateaus nicht mehr als ein paar Meter entfernt war. Die Lichtkegel ihrer Taschenlampen hüpften durch die Nacht und brachen sich auf glänzenden Regentropfen und den schimmernden Pfützen am Boden. Kendra beschloss, ihre eigene Taschenlampe nicht einzuschalten – das Licht lenkte sie
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