Die Schattenplage
hielt den Kelch aus Platin und Kristall hoch. »Ich empfehle, so zu tun, als wäre das hier das Artefakt, und den Kelch in unseren Tresor zu legen, auf die Möglichkeit hin, durch diese List unseren Feind ans Licht zu locken.« Er wickelte den Kelch fest in seinen Poncho.
»Sehr gute Idee«, sagte Warren anerkennend.
»Außerdem kann es nicht schaden, die Botschaft auszusenden, dass das Artefakt geborgen wurde«, überlegte Kendra. »Die Fehlinformation könnte die Gesellschaft daran hindern, woanders danach zu suchen.«
»Falls sie nicht diejenige war, die es bereits gestohlen hat«, murmelte Gavin.
»Das wäre durchaus denkbar«, räumte Dougan ein. »Aber bis wir mehr über das verschwundene Artefakt wissen, besteht unsere größte Hoffnung auf den Sieg darin, die Gesellschaft in die Irre zu führen.«
Auf der Rückfahrt zur Hazienda saß Kendra zwischen Dougan und Warren. Sie fühlte sich ein wenig schuldig, weil sie Dougan und Gavin nicht erzählt hatte, dass sich das Artefakt wahrscheinlich nicht in den Händen der Gesellschaft des Abendsterns befand, sondern nach Fabelheim geschafft worden war. Sie hatten einen hohen Preis dafür gezahlt, die letzte Höhle des Gewölbes zu erreichen, und es widerstrebte Kendra zutiefst, sie in dem Glauben zu lassen, dass die Mission ein totaler Fehlschlag gewesen war. Aber wenn der Sphinx ein Verräter war, konnten sie und Warren nicht riskieren, zuzulassen, dass ihn über Dougan und Gavin entscheidende Informationen erreichten.
Kendra versuchte, nicht an Tammy zu denken, die auf der Ladefläche des Pickups lag. Sie fühlte sich miserabel, weil Gavin neben dem Leichnam sitzen musste. Und sie weigerte sich, an Neil zu denken, diesen mutigen, stillen Mann, dessen Lohn für eine heldenhafte Rettung darin bestand, langsam von unheimlichen fliegenden Schoten verzehrt zu werden.
Kendra hatte den ganzen Morgen über wenig gesprochen, und das blieb auch während der Fahrt so. Sie war erschöpft. Ihre Augen juckten. Die Gefahr hatte sie die ganze Nacht über wach gehalten. Jetzt, da sie vorüber war, fiel es ihr noch schwerer, ihre Müdigkeit zu ignorieren.
Rosa, Hal und Mara kamen aus der Hazienda, als der Pickup vorfuhr. Hal schlenderte herbei und begutachtete die Ladefläche des Trucks, während die anderen ausstiegen.
»Tammy?«, fragte er, den Blick auf das Bündel mit dem Leichnam gerichtet.
Dougan nickte.
»Kein Jeep«, bemerkte Hal. »Ich schließe daraus, dass Neil in Schwierigkeiten geraten ist.«
»Würgschoten«, berichtete Dougan.
Mit einem Nicken wandte Hal sich ab. Rosa biss sich auf die Knöchel und erstickte ein Schluchzen. Sie lehnte sich an Mara, die eine stoische Miene beibehielt, ihre dunklen Augen hart. Kendra kamen angesichts ihrer Trauer die Tränen.
»Er ist in das Gewölbe gegangen«, sagte Hal, halb als Feststellung, halb als Frage.
»Wir sind auf der Mesa in ernsthafte Schwierigkeiten geraten«, erklärte Warren. »Neil war ein Held. Keiner von uns hätte es ohne ihn bis zur Höhle geschafft. Eine Übernachtung draußen vor dem Gewölbe hätte den sicheren Tod bedeutet, also sind er und Kendra mit uns hineingegangen.«
»Ich schätze, ihr habt mitbekommen, dass er ein Hautwandler war«, sagte Hal.
»Er hat sich in einen kastanienbraunen Hengst verwandelt und uns in Sicherheit gebracht«, bestätigte Gavin.
»Habt ihr gefunden, was ihr gesucht habt?«, fragte Hal.
Dougan hob den Kelch hoch, der immer noch in seinen Poncho gewickelt war. »Wir werden euch in Frieden lassen, sobald wir einen Flug buchen können.«
»Wir werden Stu einen Funkspruch senden«, bot Hal an. »Er kann ins Internet gehen und eure Flüge buchen. Ihr müsst eine ziemlich harte Nacht hinter euch haben.« Er legte eine Hand auf den Wagen. »Geht ins Haus; ich werde mich um die junge Dame kümmern.«
Kendra folgte Warren in die Hazienda, wobei sie jeden Blickkontakt mit Rosa und Mara mied. Was mussten sie von ihnen denken? Fremde, die in ihr Reservat kamen, einen ihrer Freunde auf eine gefährliche Mesa mitschleppten, um irgendein Artefakt zu bergen, und dann mit der Nachricht von seinem Tod zurückkehrten, ohne auch nur einen Leichnam, den sie beerdigen konnten.
»Bist du okay?«, fragte Warren.
Kendra konnte sich nicht vorstellen, dass er tatsächlich die Wahrheit hören wollte. Stattdessen nickte sie.
»Du hast dich großartig gehalten«, fügte Warren hinzu. »Das war ein Albtraum. Ruh dich ein wenig aus, in Ordnung? Lass es mich wissen, wenn du irgendetwas
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