Die Schattenritter: Kuss der Dunkelheit
Lächeln, und prompt sah sie so viel jünger und weicher aus, dass es ihm beinahe das Herz brach. Bei Gott, was für ein Liebreiz! »Heißt das, ich darf bleiben?«
Er nickte, obwohl er keine Sekunde daran zweifelte, dass er es noch bitter bereuen würde. »Sie dürfen bleiben.«
Kapitel 7
»Erzählen Sie mir von Saint!«
Seufzend legte Bishop das Buch beiseite, in dem er eben erst zu lesen begonnen hatte. Mary Shelleys Buch über Victor Frankenstein und seine Schöpfungen hatte er seit seinem Erscheinen im Jahre 1819 schon mehrmals gelesen, und jedes Mal wieder entdeckte er etwas Neues darin. Zurzeit fesselten ihn besonders das Thema menschlicher Arroganz und Vermessenheit sowie die Neugier auf alles, was beängstigend oder unerklärlich war.
»Wie oft muss ich Ihnen noch sagen, dass ich nicht weiß, wo er ist?«
»Ich glaube Ihnen ja«, gab Marika schnell zurück und sah ihn an. »Ich will etwas
über
ihn wissen. Wie ist er so?«
Sollte das eine neue List sein, war sie recht geschickt eingefädelt. Marika wirkte unschuldig – interessiert, wie sie bei ihm im vorderen Salon saß, wo sie warteten, bis vollständige Dunkelheit sich über die Stadt gelegt hatte.
Sobald es dunkel genug war, konnten sie hinausgehen und nach Antworten auf all die Fragen suchen, die der Überfall auf Marikas Hütte aufgeworfen hatte. Bis dahin bemühten sie sich, das Zusammensein so unverfänglich und erträglich wie möglich zu gestalten.
»Wollen Sie wissen, wie er war, bevor er zum Vampir wurde, oder wie er seither ist?«
Sie überlegte kurz. »Sowohl als auch.«
Ihr Zögern machte Bishop lächeln. Er kannte das Gefühl. Sein Vater war gestorben, als er noch ein Kind war. Und obschon seine Mutter wieder heiratete und er dem Mann, der ihn aufzog, sehr nahe gewesen war, hatte er seiner Mutter stets mit Fragen über seinen Vater in den Ohren gelegen. Es bedeutete ihm damals ungemein viel, all die kleinen Details zu erfahren, die sie ihm geben konnte – Kleinigkeiten, die ihm den Mann näherbrachten, der Bishops Leben über den eigenen Tod hinaus beeinflusste.
Zumeist waren es gute Dinge, die seine Mutter ihm erzählte, aber manchmal, wenn Bishop trotzig oder streitlustig war, entfuhr es seiner Mutter, wie sehr er dem Vater ähnelte. Ihre roten Wangen gaben dann jedes Mal preis, wie reizbar sie selbst war.
Marika verdiente dieselbe Aufrichtigkeit, zumal wenn er wollte, dass sie Saint als einen Mann sah und nicht als einen Dämon aus ihren Alpträumen. Falls ihre Mutter die Frau war, die Bishop im Kopf hatte, musste er Marika so viel wie möglich erzählen.
»Als ich Saint kennenlernte, waren wir beide noch sehr jung. Wir kamen aus demselben Dorf, und unsere Väter gingen zusammen auf die Jagd. Wir waren typische Jungen. Allerdings war er schlauer als ich. Er konnte sich beinaheaus allem herausreden und andere mit erschreckender Leichtigkeit dazu bringen, genau das zu tun, was er wollte.«
Marika kuschelte sich auf ihrem Sessel ein wie ein Kind, das sich für eine Gute-Nacht-Geschichte bereit macht. »Worin waren Sie gut?«
Die Frage überraschte ihn. »Im Kämpfen. Ich konnte gut kämpfen.«
»Offenbar nicht gut genug, denn ich konnte Sie gefangen nehmen.«
Was für eine Angeberin! Und hörte er da ein klein wenig Wärme heraus? Konnte es sein, dass sie ihn neckte? »Mit Hilfe von vier Männern und Gift – nicht zu vergessen, was Sie mir mit dem Weihwasser antaten.«
»Dafür entschuldige ich mich.«
»Ach ja?« Es verwunderte ihn ehrlich, denn er hatte nicht erwartet, dass sie sich je entschuldigte. Vielleicht sollte er sie um Verzeihung bitten, dass er sie geschlagen hatte – von dem Biss ganz zu schweigen. Irgendwann. »Da es Ihnen nicht gelang, mir bleibende Narben zuzufügen, vergebe ich Ihnen.«
In diesem Moment geschah etwas zwischen ihnen, das er nicht benennen konnte, jedoch höchst beunruhigend fand. Anscheinend ging es Marika nicht anders, denn sie wurde auffallend blass.
»Dann kannten Sie Saint von Kindheit an?«
»Ja, aber damals war sein Name Adrian du Lac.«
»Und Sie wurden Freunde.«
»Freunde? Nun, vielleicht waren wir einst nichts weiter als das.« Bishop lächelte, als er an einige der gemeinsamen Momente mit Saint zurückdachte. Sie alle lagensehr lange Zeit zurück, und doch hielt sein Gedächtnis sie bis heute fest. »Wir standen einander so nahe, dass man wohl eher von einem brüderlichen Verhältnis sprechen konnte. Und wie Brüder verstanden wir uns auch nicht durchgängig
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