Die Schattenritter: Kuss der Dunkelheit
schien, hatte er seinen Verstand noch nicht ganz verloren, denn er blieb abrupt stehen. Er war nicht so dumm, Bishop anzugreifen, auch wenn er sich redlich Mühe gab, ihn mit Blicken zu töten.
»Ach, Dimitru!« Marikas Enttäuschung war unüberhörbar. Und das Gefühl galt nicht allein Dimitru. Es galt auch Bishop. Sie wusste, dass er sie nur verteidigte, aber eine solch furchtbare Sache vor den Leuten zu offenbaren, die den Mann respektierten, war ein Schlag unter die Gürtellinie.
Und dennoch konnte sie nicht leugnen, dass sie dasselbe getan hätte, wäre die Situation umgekehrt. Bishop mochte die Tat entdeckt haben, doch Dimitru war immer noch derjenige, der sie begangen hatte.
Der Mann und der Vampir starrten einander an, einer rotgesichtig und zornig, der andere kühl und gefasst. Die Spannung in Bishops Schultern gefiel Marika indessen gar nicht. Er war wie eine gedrückte Feder, bei der es nur der richtigen Provokation bedurfte, dass sie hervorsprang.
»Hört auf, alle beide! Dimitru, wenn du nicht neben Bishop kämpfen kannst, dann geh heim zu deiner Familie, wo du hingehörst!« Die letzte Bemerkung hatte sie sich nicht verkneifen können. Sie kannte Dimitrus Familie seit Jahren und hatte ihn stets als den hingebungsvollen Vaterund Ehemann gesehen. Und als treuen Freund. Jetzt, da ein Teil des Bildes in Frage gestellt wurde, wusste sie nicht mehr, was sie denken sollte. Aber sie wusste, dass sie Bishop voll und ganz glaubte.
Der kräftige Rumäne sagte nichts, verzichtete jedoch darauf, Bishop weiter zu provozieren. Mit seiner schmutzigen Hand rieb er sich die Stoppeln auf seinem Kopf.
Zu Marikas Verwunderung war es Sergej, der nun vortrat. Von allen anwesenden Männern – an die fünfzehn waren es – zählte er zu den wenigen, die in der Nacht dabei gewesen waren, als Iwan starb.
»Ich sah, wie der Vampir in der Nacht Marika das Leben rettete«, erzählte er den anderen. »Er hatte die Chance, zu entkommen, aber er blieb, um uns zu helfen. Wenn Marika ihm vertraut, dann tue ich es auch.«
Mehr als dieses Bekenntnis brauchte es nicht, um die anderen zu überzeugen. Einen Moment lang redeten sie leise miteinander, dann traten sie einer nach dem anderen vor und sicherten Marika ihre Verbundenheit zu. Dimitru kam als Letzter, aber er kam.
Marika versteckte ihre Erleichterung hinter einem Lächeln. »Ich danke dir, Dimitru!«
Er nickte, hatte die Augen allerdings auf Bishop gerichtet. »Aber ich töte dich eigenhändig, wenn ich auch nur ein Anzeichen von Verrat sehe.«
Bishop nickte – das universelle Zeichen von Einverständnis unter Männern.
»Haben sie irgendetwas Brauchbares zurückgelassen?«, fragte Marika Sergej, sobald der Rest der Männer sich wieder an die Arbeit gemacht hatte. »Irgendetwas, das uns einen Hinweis darauf gibt, wer sie waren?«
Er griff in seine Tasche und holte etwas hervor, das er in seinen schmutzigen Fingern hochhielt. »Wir haben das hier gefunden.«
Marika nahm es ihm ab und hielt es in den Feuerschein. Es war ein Ring – schlicht und silbern, die obere Rundung gedreht. Das Edelmetall machte ihre Haut jucken, aber sie ignorierte es. Auf der einen Seite war ein Kelch eingraviert, auf der anderen eine Hand, deren Innenfläche nach oben wies.
Marika zeigte Bishop den Ring. »Hast du schon einmal so etwas gesehen?«
Er berührte den Ring nicht, denn was bei ihr ein unangenehmes Jucken war, wäre für ihn ein furchtbares Brennen. Stattdessen beugte er sich über ihre Hand und besah sich die Gravuren eingehend. Dabei kam sein Kopf ihrem sehr nahe, so dass sie den warmen würzigen Duft seines Haars einatmete. Sogleich fing ihr Herz heftig zu pochen an, und als er den Blick wieder zu ihr hob, konnte sie darin ihr eigenes unerwünschtes Verlangen gespiegelt sehen.
Wie konnte das passieren?
»Nein«, sagte er und richtete sich auf.
»Ich habe diese Symbole schon irgendwo gesehen.« Marika sah auf den Ring und war froh, dass ihr Verstand sich zurückmeldete, je weiter Bishop sich zurückzog. Dennoch verschwammen die Bilder in ihrem Kopf, als wären sie eine nebulöse Vision aus einer anderen Zeit. »Wenn ich mich nur erinnern könnte, wo!«
»Versuch es!«, drängte Bishop sie. »Inzwischen werde ich Molyneux fragen, ob er sie kennt. Ich schreibe ihm alles.«
»Wunderbar! Ich danke dir.«
Einen Moment lang sahen sie sich an, und die Hitze des Feuers war nichts verglichen mit dem Feuer in ihren Blicken. Diese Anziehung geriet zusehends außer Kontrolle. Sie wollte
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