Die Schattensurfer (German Edition)
so genau daran.
„Wieso haben sie den großen Kristallorden bekommen, wenn sie Geheimnisse lieben?“, zweifelte Sansibar. Irgendetwas stimmte mit Kalawesi nicht. Das passte doch alles nicht zusammen.
Kalawesi strich sich über sein stoppeliges Kinn. Verächtlich knurrte er: „Die brauchten mich. RUHL konnte sich darauf verlassen, dass die Bewohner Mallinports in den Lunapark strömten und dort Zerstreuung suchten. Der Lunapark ist endloses Vergnügen. Dort hatte niemand Zeit nachzudenken, und RUHL konnte seinen schier unersättlichen Hunger auf leere Gedanken stillen. Die Besucher des Lunaparks lieferten sie. Deswegen ließen mich die Sesselpupser vom Kristallamt in Ruhe, auch wenn sie mich hassten. Ich nahm mir die Freiheit, Geheimnisse für mich zu behalten.“
„Aber Sie tragen einen lila Kristall“, wunderte sich Sansibar. „Alle Gedanken werden übertragen. Auch jetzt.“
Kalawesi grinste. Er zog sein Stirnband vom Kopf und schwang es mit dem Zeigefinger im Kreis. „Ach das“, meinte er belustigt. „Der Protrektor ist vor ein paar Jahren kaputtgegangen, als er mir in die Microwelle gefallen ist. Ich habe ihn aus Versehen einen ganzen Tag lang gekocht. Und dann habe ich glatt vergessen, ihn reparieren zu lassen.“
„Und das haben die vom Kristallamt zugelassen?“
„Der Erfolg des Lunaparks hat mich geschützt. Sie brauchten mich. Die weltbesten Programmierer haben für mich gearbeitet. Ich brachte sie in die Schattenstadt, damit sie ungestört waren. Damit sie denken konnten, was sie wollten. Ich weiß nicht, wie viel das Kristallamt wusste, aber sie fragten niemals nach.“
„Die Schattensurfer“, murmelte Sansibar.
Kalawesi zuckte zusammen, als wäre er barfuß in einen Seeigel getreten: „Woher kennst du die Schattensurfer?"
Erst druckste Sansibar herum, aber bald sprudelten die Worte aus ihr heraus, ohne dass sie es wirklich wollte. Sansibar erzählte, wie sie Luan im Lunapark getroffen hatte und dann in Etzingers Sauerkrautfabrik und von ihrer Flucht vor der Kristallprüfung. Sie erzählte, wie Nele, Chris, Nick und Emil sie an Doktor Tornham verraten hatten. Sansibar biss sich auf die Lippe. Wenn Kalawesi ihr eine Falle gestellt hatte und für das Korrekturhaus arbeitete? Wenn er auf sie angesetzt war, um ihr Geheimnisse zu entlocken? Vielleicht hieß er nicht einmal Kalawesi. Wenigstens hatte sie ihre Mutter mit keinem Wort erwähnt.
Kalawesi brummte: „Da steckt bestimmt Marc dahinter. Marc Bodin, dieser Verräter.“
„Der Superprogrammierer?“, fragte Sansibar. Luan hatte diesen Namen erwähnt.
Verbissen nickte Kalawesi. „Der weltbeste Programmierer“, sagte er und spuckte die Worte aus, als wären sie gallenbitter. „Bodin hat für mich gearbeitet. Er wollte nicht nur die besten Fahrgeschäfte programmieren, sondern den ganzen Lunapark übernehmen. Mich hat er beim Kristallamt angeschwärzt, nachdem ihm die Idioten den Chefposten versprochen hatten.“
Nervös zupfte Sansibar an ihrem Ohrläppchen. Sagte Kalawesi wirklich die Wahrheit?
Kalawesi schlug mit seinem Stirnband auf den Couchtisch. Dabei murmelte er mehr zu sich selbst, als dass er mit Sansibar sprach: „Dieses verdammte System. Ich hätte mich niemals darauf einlassen sollen. Jahrelang habe ich von RUHL gut gelebt. Ich konnte tun, was ich wollte. Ich habe mir meine Freiheiten einfach genommen. Ich dachte, das geht immer so weiter. Aber damit ist es jetzt vorbei. Ausgerechnet Marc hat mich verraten. Ich habe ihm vertraut wie meinem eigenen Sohn.“
Eine Mischung aus Wut und Trauer grub sich in Kalawesis Gesicht. „Wir müssen verschwinden“, schnaubte er. „Nach der Korrektur ist alles zu spät.“
Sansibar dachte an Papa, der die Korrektur gut überstanden hatte. Vielleicht war es gar nicht so schlimm. Papa war wirklich in Ordnung. Er war der beste Papa der Welt. Disinformie konnte geheilt werden.
Da fuhr der Lichtvorhang zur Seite. Vier Pfleger schoben ein Transportbett herein. Prönke war wieder dabei. Er ging auf Sansibar zu. „Komm mit! Der Professor will dich sprechen. Und macht die bescheuerte Musik leiser. Da versteht man ja sein eigenes Wort nicht.“
Ängstlich rappelte sich Sansibar auf. Ihre Knie waren puddingweich. Sie zog sich am Snackautomaten hoch. „Der Pro … Professor“, stotterte sie.
„Komm schon. Wir haben heute schrecklich viel zu tun.“ Prönke wischte sich mit dem Ärmel über seine Glatze.
„Was will der Professor von mir?“ Zögerlich machte Sansibar einen
Weitere Kostenlose Bücher