Die Schattensurfer (German Edition)
Aufzügen Sipos. Luans Puls raste. Doch seine Kollegen grinsten ihn freundlich an. Ihre verspiegelten Sonnenbrillen blinkten im Neonlicht. Luan tastete nach seiner Brille – nur so zur Sicherheit. Er war auf Augenhöhe mit ihnen. Der auf der linken Seite hob den Arm und meinte: „Hallo, Luan, wohin des Wegs?“
Luan blieb das Herz beinahe stehen. Woher wusste der Sipo seinen Namen. Ihm wurde heiß und kalt zugleich. Stumm starrte er den Sipo an. Auf der Trainingsjacke des Sipos war links über der Brust Mike eingestickt. Die andere hieß Pete. Luan tastete seine Trainingsjacke ab. Er fühlte die Stickerei. Mit Daumen und Zeigefinger fuhr er an den Buchstaben entlang. Luan stand dort. Mann, was für ein Anfängerfehler. Doch die beiden Sipos schienen ihn nicht einmal zu bemerken. Lächelnd fragte jetzt Pete: „Nun sag schon!“
Luan atmete auf. Ein komischer Seufzer entfuhr ihm: „Das Robopet von Moritz Mattuschke muss auch korrigiert werden – Befehl von oben.“
„Was denen noch alles einfällt“, brummte Mike. „Und wir müssen die Drecksarbeit erledigen.“
Luan nickte.
Mike klopfte Luan verständnisvoll auf die Schulter, dann gab er den Weg frei. Luan konnte es nicht fassen. Das war viel zu glatt gelaufen. Mit zitternden Knien schob er Nachos Bett in den Aufzug. Sein Herz hüpfte vor Erleichterung, als er das fünfte Untergeschoß auswählte und sich die Türen lautlos schlossen. Der Aufzug senkte sich und ein paar Sekunden später hatte er sein Ziel erreicht.
Das Medikamentenlager U577 musste ziemlich genau unter seinem Zimmer liegen. Luan folgte dem Gang nach links. Die Kunststoffröhre schimmerte in mattem Grau.
Luan las die Beschriftungen an den Türen. U569, U570. Gleich hinter der Kurve musste das Medikamentenlager liegen. Da öffnete sich der Lichtvorhang von U571. Zwei Pfleger schoben Transportbetten heraus. Luan sah die beiden Patienten und erstarrte.
34 WARTEN AUF ALBERT
Seit Stunden saß Kalawesi schnarchend im Sessel. Sein Kopf hing hinten über die Lehne und den Mund hatte er aufgerissen.
„Dauert es noch lange, bis Albert kommt?“, fragte Sansibar. Immer wieder blickte sie auf die sonderbare Uhr mit diesen Zeigern. Sansibar hatte die ganze Nacht kaum geschlafen. „Es ist schon halb sechs. Die holen uns sicher gleich zur Korrektur ab.“
Kalawesi schreckte hoch. „Was? Wo ist Albert?“, fragte er. „Ich bin wohl kurz eingenickt.“
Sansibar nickte müde.
Kalawesi drückte sich aus dem Sessel hoch und strich sein verknittertes Samtsakko glatt. „Albert kommt bestimmt. Er ist immer pünktlich“, murmelte Kalawesi, aber seine Augen versprühten keine Zuversicht. Mit den Händen rieb er sich übers Gesicht und zupfte seinen dünnen Pferdeschwanz zurecht.
„Wer ist dieser Albert, dass er uns so einfach aus dem Korrekturhaus holen kann?“, fragte Sansibar.
Kalawesi lachte auf. Versonnen kratzte er seinen Bart. Er schien sich an etwas Schönes zu erinnern: „Albert ist der frühere Besitzer meines ersten Autoscooters. Damals, als ich den Autoscooter kaufte, hatte sich Albert ausbedungen, Zeit seines Lebens im Lunapark wohnen zu dürfen. Gerne habe ich Albert diesen Wunsch erfüllt. Aber Albert konnte nicht einfach still sitzen und nichts tun. Er brauchte eine Aufgabe. Also machte er sich hier und dort nützlich. Er nannte sich Hausmeister und half mir, die Programmierer in die Schattenstadt zu schmuggeln. Albert schafft es bestimmt, uns aus dem Korrekturhaus zu holen.“
Sansibar spürte, dass auch Kalawesi an ihrer Rettung zweifelte. Unaufhaltsam tickte die Uhr. Sansibar wollte die Zeiger festhalten. Um sieben oder um acht würden sie kommen und sie holen, bestimmt nicht später. Dann wäre ihre letzte Chance vertan.
Wie gelähmt hockte Sansibar auf dem Sofa. Gedankenfetzen rasten durch ihren Kopf. Immer wieder sah sie ihre Mutter vor sich und hörte sie reden: „Ihr beide kommt übermorgen nach. Ich warte auf euch. Drüben.“ Was meinte Mama mit drüben?
Dann sah Sansibar, wie Mama sich die Haare aus der Stirn strich. Sansibar blickte in Mamas große olivbraune Augen. Ihre eigenen sahen genauso aus. Plötzlich tauchten neue Puzzlestücke aus ihrer verschütteten Erinnerung auf. Mama küsste Papa. Ganz lange, bis sie abrupt ihren Kopf zur Seite riss und einfach ging. Mama wirkte so entschlossen. Sie winkte ihnen noch einmal zu und lächelte. Sansibar konnte sehen, wie sehr sich Mama quälte, um dieses Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern. Sansibar wollte loslaufen,
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