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Die Schattensurfer (German Edition)

Die Schattensurfer (German Edition)

Titel: Die Schattensurfer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hubert Wiest
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Mama festhalten, aber Papa zog sie zu sich und sagte: „Du musst tapfer sein, kleine Sansibar. Wir können nicht alle gehen, nicht heute, mein Schätzchen. Aber wir kommen ganz bald nach. Wir gehen auch nach drüben.“ Sansibar erinnerte sich, wie Papa sich mit seinem Ärmel so komisch über die Augen wischte, als wollte er sie polieren. Sie selbst begann zu weinen. Sie heulte und schrie. Papa hob sie auf den Arm. Behutsam legte er ihr den Zeigefinger auf die Lippen: „Pssst. Wir müssen leise sein.“ Papa trug Sansibar in die Wohnung. Dort roch es nach dem Putzmittel mit Kaugummiduft. Heulkrämpfe schüttelten Sansibar, packten sie am Genick und schleuderten sie hin und her. An dieser Stelle verschwammen ihre Erinnerungen zu einem düster grauen Nebel, stumpf und undurchdringlich. Warum waren Papa und sie niemals Mama gefolgt, nicht am übernächsten Tag und auch nicht danach? Nie sind sie nach drüben gegangen. Wo war dieses Drüben? Natürlich dachte Sansibar an die Schattenstadt, aber warum sollte ihre Mutter in die Schattenstadt gehen? Das ergab überhaupt keinen Sinn. Niemals hatte Papa die Schattenstadt erwähnt.
    Sansibars Gedanken waberten wirr durch ihren Kopf.
    „Albert wird kommen. Albert wird uns retten“, versuchte Kalawesi Sansibar zu trösten.
    Sansibar nickte stumm. Sie verlor das Gefühl für die Zeit. Als sie irgendwann wieder auf die Uhr blickte, war es bereits Viertel nach sieben. Und Sansibar wusste, Albert würde nicht mehr kommen.
    Kalawesi hielt seine Fäuste geballt wie ein Boxer. Er hatte seine Lippen zusammengekniffen und schlug immer wieder in die Luft. „Diesen Idioten werde ich es zeigen. Der Lunapark ist der beste Vergnügungspark aller Zeiten. Die Wandernden Wände werden der Hit. Natürlich lasse ich den RainbowRider bauen. Dann hat RUHL wenigstens einen Grund sich richtig aufzuregen. Viel zu lange habe ich stillgehalten und mich von RUHL benutzen lassen. Der Lunapark hat Milliarden leerer Gedanken an RUHL geliefert und seine Macht genährt. Davor habe ich immer meine Augen verschlossen. Das wollte ich nie sehen.“
    Jetzt schlug Kalawesi gegen die Wand. Seine Fäuste krachten. Er spuckte aus. „Ich hasse Marc, diesen Verräter. Ich habe ihn aufgenommen wie einen Sohn. Ich habe ihn groß gemacht. Zum Dank will er all meine Fahrgeschäfte zerstören. Nur ein einziges Abenteuer-Hologramm will dieser Idiot aufstellen. Er sagt, so ein Abenteuer-Hologramm ist viel flexibler. Die Besucher verbringen darin noch mehr Zeit. Sie werden nicht nur Stunden bleiben, sondern Tage oder Wochen. Irgendwann kommen sie überhaupt nicht mehr heraus. Und dann? Jeder Mensch muss doch sein richtiges Leben leben. Aber in so einer Hologramm-Welt vergessen sie es. Und RUHL bekommt mehr und mehr leere Gedanken. Das ist es, was RUHL will.“
    Kalawesi riss sein Stirnband vom Kopf und donnerte es auf dem Boden. Der lilafarbene Kristall zersprang in tausend Splitter. Die Splitter verloren rasch ihre Farbe und glitzerten gläsern. Dann trübten sie ein, verfärbten sich milchig und waren bald kieselsteingrau, sahen wie gewöhnlicher Straßenschotter aus. „Ich habe genug von dem ganzen Kristall-Unfug. Ich spiele nicht mehr mit“, schrie Kalawesi und trat so fest gegen den Sessel, dass dieser gegen die Wand krachte und zerbrach.
    In diesem Augenblick wurde der Vorhang entriegelt und zur Seite geschoben. Noch einmal hoffte Sansibar auf Albert. Ihr Herz raste aufgeregt, aber es traten Prönke und ein anderer Pfleger ein.
    Kalawesi holte tief Luft. Sein Gesicht glühte wutverzerrt. Er riss die Fäuste hoch. Wie irre tänzelte er auf die Pfleger zu. Seine Fäuste schossen im Stakkato nach vorne.
    Doch Kalawesi hatte nicht den Hauch einer Chance. Die Pfleger packten ihn blitzschnell links und rechts an den Armen und drehten sie einfach um wie Blumendraht.
    „Loslassen, ihr Idioten!“, brüllte Kalawesi. „Wisst ihr nicht, wen ihr vor euch habt? Ich bin Kalawesi, der Chef des Lunaparks.“
    Prönke und sein Kollege sagten kein Wort. Sie schienen Kalawesi nicht einmal zu hören. Mit geübten Handgriffen zogen sie Kalawesi auf ein Transportbett.
    Kalawesi schrie und trat mit seinen Füßen um sich. Er trat den Kerzenständer vom Tisch. Die Pfleger fesselten Kalawesi mit Magnetriemen ans Bett.
    Prönke zog ein viereckiges Kästchen aus seiner Tasche, nicht größer als eine Streichholzschachtel. Unten ragte eine Nadel heraus. Oben war ein kleiner Bildschirm angebracht. Prönke strich über den Bildschirm,

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