Die Schattensurfer (German Edition)
ihn. Als beide Beine wieder fest auf dem Board standen, atmete Luan erleichtert auf. Ganz sanft neigte sich die Piste vor ihm. Luan drückte sich ab. Langsam glitt er talwärts. Vor jedem Schwung hatte er Angst, dass er es nicht mehr schaffen würde. Doch irgendwie half der Berg mit und hievte Luan um die Kurven.
Endlich sah er die Talstation. Alle Surfer kamen dort unten an. Dicht drängten sie sich um den Ausgang. Hier musste jeder durch.
Ausgelaugt rutschte Luan den letzten Hang hinunter. Es wurde immer voller. Vor dem Ausgang standen Buden, die Krimskrams und Süßigkeiten verkauften. Ein Duft von Blaubeerpfannkuchen wehte herüber. Die hatte es bei den Häppy Kidz nur an Weihnachten gegeben. Luan griff nach seinem ceeBand, 30 Euro waren darauf geladen. Nur einen einzigen Blaubeerpfannkuchen.
Luan bremste mit einem letzten Schwung vor den Buden ab. Er löste die Verschlüsse seines Boards und ließ es wie alle anderen einfach liegen. Hungrig humpelte er zum Pfannkuchenstand. Jeder Schritt tat ihm weh. Doch der Duft nach Blaubeerpfannkuchen zog ihn unwiderstehlich an.
„Bitte einen Blaubeerpfannkuchen“, bestellte er bei der rundlichen Verkäuferin. Diese lachte ihn fröhlich an und sagte: „Du siehst aus, als könntest du zwei vertragen.“
„Ja, aber ...“, stammelte Luan.
„Schon in Ordnung“, sagte die Frau und strich die Blaubeermarmelade besonders dick auf die Pfannkuchen. „Der zweite geht auf Kosten des Hauses.“
„Danke“, hauchte Luan, als sie ihm die gerollten Pfannkuchen in die Hand drückte. Luan bezahlte. Erschöpft ließ er sich neben der Bude in den Schnee fallen und biss in den ersten Pfannkuchen. Klebrige Marmelade quoll heraus. Er leckte sie ab. Für einen Augenblick vergaß Luan alles um sich herum. Er fühlte sich wie an Weihnachten. Luan schloss die Augen und biss noch einmal ab. Diesen Moment konnte ihm niemand nehmen. Nicht Mama Berta, nicht die Sipos und nicht die beiden Mädchen, die ihn verraten hatten. Jeden Bissen genoss Luan, bis der letzte Krümel in seinem Bauch verschwunden war. Luan öffnete die Augen. Er sah nur Schuhe und Beine vor sich. Sie wimmelten durcheinander, als gehörten sie nicht einmal paarweise zusammen. Dann sah Luan Beine, die in Trainingsanzügen steckten, ein Zickzackmuster an der Seite. Sie liefen nicht planlos hin und her. Ganz ruhig schritten sie durch die Menge und kamen dabei immer näher.
Hastig sprang Luan auf. Er drückte sich hinter die Pfannkuchenbude. Gebückt drängte er sich weiter bis zum nächsten Stand. Hier herrschte ein furchtbares Geschiebe. Luan quetschte sich hinein. Nicht einmal die Richtung konnte er noch selbst bestimmen. Die Menge presste ihn einfach voran. Egal ob er wollte oder nicht. Für einen Moment fühlte sich Luan sicher. Doch dann sah er das Schild, in dessen Richtung er gedrückt wurde. In goldenen Buchstaben blinkte dort das Wort Ausgang. Luan wollte nicht zum Ausgang. Am Ausgang würden sie sicher stehen. Natürlich würden sie dort warten. Nicht zum Ausgang!
Luan stemmte sich gegen die Masse, versuchte, einfach stehen zu bleiben, wie ein Sack Kartoffeln. Doch er würde höchstens zu Kartoffelbrei zerquetscht werden. Aus diesem Sog gab es kein Entkommen.
Luan sah die verspiegelten Brillengläser aufblitzen und dann die beiden Sipos in ihren Trainingsanzügen, direkt neben dem Ausgang. Hatten sie ihn schon entdeckt? Er nahm seine letzte Kraft zusammen und kämpfte sich zur Seite. Mit jedem Schritt vorwärts gelang ihm ein halber Schritt nach rechts. Er musste dem Sog entkommen. Doch wie ein einzelner Wassertropfen in einem Strudel wurde er einfach mitgezogen.
6 DER MANN IM LILA SAMTANZUG
Da legte sich ein Arm um Luan. Eine behaarte Männerhand packte ihn an der Schulter.
Luan fuhr zusammen. Sein Herz raste vor Angst.
„Ich denke, wir nehmen besser einen anderen Ausgang, wo es weniger Gedränge gibt“, sagte der Mann mit brummig tiefer Stimme und zog Luan einfach zur Seite. Es schien ihn keine Anstrengung zu kosten.
Ängstlich sah Luan zu ihm auf. Nein, der Mann war bestimmt kein Sipo. Er trug einen lila Samtanzug und darunter ein goldenes Hemd, von dem die Knöpfe abzuplatzen drohten, so sehr wölbte sich der Bauch. Der Mann war groß wie ein Bär. Vorne, in der Mitte seines Stirnbands, saß ein amethystfarbener Kristall. Seine Glatze glänzte wie eine Speckschwarte. Nur noch an den Seiten und hinten wuchsen Haare, diese aber so lang, dass er sie mit einem Gummiband zusammengebunden hatte. Der kurz
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