Die Schattensurfer (German Edition)
Stimme. Kalawesi. Marc zog die Holztür auf, die an der Innenseite mit Lederrauten gepolstert war.
Kalawesi trug zu seinem lilafarbenen Samtanzug ein nachtblaues Hemd. Er wies Marc Bodin einen Platz auf dem Plüschsessel vor dem gläsernen Couchtisch zu und ließ sich in das Sofa gegenüber fallen.
„Na?“, brummte Kalawesi erwartungsvoll, „wie läuft es? Wir brauchen dringend eine neue Spitzenattraktion. Ich habe gerade die Besucherzahlen der letzten Wochen angesehen. Sie gefallen mir überhaupt nicht. Unser Wachstum schrumpft.“
Marc grinste breit und sagte zuversichtlich: „Kein Problem. Das bekommen wir in den Griff. Ich arbeite an der Holo-Welt und komme gut voran. Das ist ein Hologramm der nächsten Generation.“
„Hologramm?“, fragte Kalawesi und strich seiner Ratte nervös über den Rücken. „Hologramme gibt es seit Jahrzehnten. Was soll daran besonders sein?“
„Die Holo-Welt zeigt jedem Besucher die Welt, die er sehen möchte. Jeder Besucher erlebt in der Holo-Welt genau das Abenteuer, das er sich immer schon gewünscht hatte. Er kann mit Drachen kämpfen, Autorennen fahren oder im Dschungel auf Schatzsuche gehen.“
Kalawesi schien nicht ganz zu verstehen: „Was werden wir bauen? Die Arena für den Drachenkampf, die Rennbahn oder den Dschungel?“ Kalawesi zog einen Notizblock aus seinem Sakko und begann Skizzen zu zeichnen.
„Gar nichts werden wir bauen“, erklärte Marc Bodin. „Die Besucher lassen alle Abenteuer und Fahrgeschäfte nur in ihrem Kopf entstehen. Sie werden für Stunden, Tage oder Wochen in der Holo-Welt versinken, bis wir sie wieder herausholen. Ich bin absolut sicher, die Holo-Welt ist das faszinierendste Unterhaltungsprogramm aller Zeiten.“
„Aber irgendetwas muss sich doch drehen und bewegen. Ein Fahrgeschäft muss blinken und rasen, mit lauter Musik. Die Besucher vergessen für ein paar Minuten den mühsamen Alltag. Der Lunapark zaubert ihnen Lachen und Freude in die Gesichter. Das ist es, warum ich den Lunapark gegründet habe.“
Marc schüttelte seinen Kopf und machte ein Gesicht, als erklärte er einem begriffsstutzigen Viertklässler zum hundertsten Mal, dass zwei plus zwei vier ist: „Alles, was sich dreht, wird in ihren Köpfen stattfinden. Dort spielt die Musik. Dort tobt das Abenteuer. Klar, wir können hier im Lunapark eine glitzernde Weltkugel aufstellen, aber eigentlich ist es völlig egal, wie die Holo-Welt von außen erscheint.“
„Quatsch!“, brummte Kalawesi und schlug mit seiner Faust so fest auf den gläsernen Couchtisch, dass ein Knacken zu hören war. Ein Sprung zog sich quer über die Glasplatte. „Ich will Fahrgeschäfte zum Anfassen. Nicht so virtuelles Zeug, das nur in den Köpfen der Besucher stattfindet. Ich will kein Fahrgeschäft, das tagelang oder wochenlang dauert. Das Vergnügen muss nach fünf Minuten zu Ende sein. Nur dann kommen die Leute wieder und fahren noch einmal. Genau dasselbe Problem gab es mit dem RainbowRider. Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt. Und gegen dein virtuelles Zeug war der RainbowRider immerhin noch ein richtiges Fahrgeschäft. Das ist doch alles Mist.“ Kalawesi donnerte noch einmal auf die gläserne Tischplatte. Jetzt brach sie endgültig auseinander. Die beiden Hälften neigten sich zur Seite, rutschten aus der Halterung und stürzten zu Boden. Beim Aufprall zerbarsten sie in tausend Splitter.
Marc Bodin lächelte breit. Seine weißen Zähne blitzten. „Überleg es dir noch einmal, Kalawesi. Ich bin sicher, RUHL würde meine Holo-Welt schätzen. Ein Fahrgeschäft, in dem die Besucher tagelang bleiben. Die Besucher werden RUHL Unmengen leerer Gedanken zur Verfügung stellen. Das ist es doch, worauf es ankommt.“
Kalawesi stand auf und verschränkte seine Arme: „Nein, Marc. Gerade von dir hätte ich mehr erwartet. Du stellst sofort jegliche Arbeit an dieser Holo-Welt ein. Verstanden?“
Marc Bodin lächelte immer noch. „Wenn du es unbedingt willst“, murmelte er.
In diesem Moment vibrierte Marcs Handgelenk. Sein ceeBand klingelte. Das Bild eines blonden Mädchens mit stoppelkurzen Haaren und blauer Brille flackerte auf. „Das ist die Kleine von den Schattensurfern“, wandte er sich an Kalawesi. Kalawesi nickte. Sein Kopf glühte zornrot.
Marc strich über den Bildschirm seines ceeBands und strahlte in die Kamera: „Hallo, Nele, meine Liebe, was kann ich für dich tun?“ Nele druckste herum. Sie wirkte unsicher. „Bist du allein, Marc?“, fragte sie. Sie klang
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