Die Schattensurfer (German Edition)
festnehmen. Sie hat gegen die Gesetze von RUHL verstoßen, genau wie ihre verbrecherische Mutter. Es scheint in der Familie zu liegen.“ Doktor Tornham lachte kurz auf.
Wie von einem Laser-Raptor getroffen, brach Sansibar zusammen. Ihre Knie gaben einfach nach. Sie wäre auf dem Betonboden aufgeschlagen, hätte der Sipo sie nicht fest im Griff gehabt. In Sansibars Kopf drehte sich alles. Ihr Gedanken verschmierten zu einem orangefarbenen Brei mit lila Flecken. Sansibar wusste nicht, wie lange dieses Durcheinander in ihrem Kopf andauerte. Als sie endlich den bunten Matsch aus ihrem Gehirn schieben konnte, stand Nele neben Doktor Tornham.
„Nele, du miese Verräterin.“ Sansibar spuckte aus.
Doktor Tornham schüttelte Neles Hand und gratulierte: „Das hast du wirklich ganz famos gemacht. So mutig und weitsichtig. Herzlichen Dank.“
Neles Kopf glühte knallrot.
„Aber, wo ist Marc?“, stammelte Nele. „Ich dachte, ich treffe hier Marc. Marc wollte doch … Ich meine …“
„Alles in Ordnung, mein Kind. Du hast dich um RUHL verdient gemacht“, wiederholte Doktor Tornham und klopfte ihr auf die Schulter.
„Aber …“
„Ich weiß, ich weiß“, sagte Doktor Tornham freundschaftlich. „Du lebst in der Schattenstadt, aber das ist noch lange kein Grund, dich für einen schlechten Menschen zu halten. Du hast RUHL einen mutigen Dienst erwiesen. Das verdient Anerkennung.“
Wie ein Schaf starrte Nele Doktor Tornham an – ausgerechnet Nele, die sich vor den anderen wie die große Chefin aufgeführt hatte.
Doktor Tornham lächelte. Er hatte seine Arme hinter dem Rücken verschränkt und wippte auf den Zehenspitzen. „Liebe Sansibar, warum machst du es uns so schwer. Das wäre doch wirklich nicht nötig gewesen.“
„Was wissen Sie von meiner Mutter?“, fragte Sansibar wie elektrisiert. „Bitte sagen Sie es mir.“
„Sansibar, dir geht es nicht gut. Wir bringen dich ins Krankenhaus. Disinformie kann geheilt werden. Eine Krankheit ist doch keine Schande. Sieh dir deinen Vater an. Heute ist er ein hoch geachtetes Mitglied der Gesellschaft. Niemand würde darauf kommen, dass er unter einer besonders hartnäckigen Form von Disinformie litt, so wie deine Mutter. Leider hat sie sich der Behandlung entzogen und ist in den Untergrund abgetaucht. Kein Wunder, mein Kind, dass auch du unter dieser Krankheit leidest.“
Und wieder blockierte der orangefarbene Farbstrudel in ihrem Kopf jeden vernünftigen Gedanken. Papa und Disinformie? Das konnte doch nicht sein. Warum hatte er nie davon erzählt? Ausgerechnet Papa.
Da tauchten in ihrem Kopf Bilder aus der Vergangenheit auf: Bilder, die längst verschüttet waren, deren Existenz sie nicht einmal geahnt hatte. Sie sah Papa als jungen Mann. Unrasiert. Er trug lange Haare. Papa verabschiedete sich von Sansibar. Für eine Dienstreise oder so. Es gab keine Worte zu diesem Abschied. Da war nichts. Aber traurig sah Papa aus. Zwei Männer standen links und rechts neben ihm. Sansibar hatte keine Gesichter zu den Männern gespeichert. Die Männer legten ihre Hände auf Papas Schulter. Freunde? Nein Freunde von Papa waren das nicht gewesen.
„Führt sie ab!“, holte Doktor Tornhams Stimme Sansibar in die Gegenwart zurück. Sipos zerrten Sansibar einfach mit. Draußen schnallten sie Sansibar auf einen Scooter, lieblos wie einen Sack für die Altkleidersammlung. Die Sipos ließen die Pentussekmotoren aufheulen und die Kolonne setzte sich in Bewegung. Sie fuhren durch Gässchen und kleine Straßen, bis sie bald auf die viel befahrene Nordallee bogen. Menschen auf der Straße drehten sich nach ihr um. Sansibar spürte neugierige Blicke über ihr Gesicht grapschen. Sie versuchte sich hinter ihren Haaren zu verstecken, aber der Fahrtwind hatte kein Mitleid mit ihr. Passanten fingen sie mit Kameras ein. Keine zehn Minuten würde es dauern, bis ihre Freunde die Bilder sahen. Länger dauerte so etwas nie.
27 DAS KORREKTURHAUS
Das gepanzerte Schleusentor des Korrekturhauses öffnete sich vor der Kolonne. Klinik für Disinformie, Prof. Dr. Brenius, stand in unschuldigen Buchstaben neben dem Eingang. Darüber funkelten wunderschöne Werbe-Hologramme. Junge Menschen, die orangefarbene oder auch schon rote Kristalle auf ihrem Stirnband trugen, lächelten zuversichtlich in die Welt und wiederholten immer wieder: „Wir hatten Disinformie. Na und!“
Erst als die Kolonne eingefahren war und das äußere Tor sie von der Außenwelt wieder abgeriegelt hatte, wurde ein zweites Tor
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