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Die Schattenträumerin

Die Schattenträumerin

Titel: Die Schattenträumerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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dich für solch eine Frechheit mit meinem Gehstock durch den ganzen Palazzo gejagt.«
    Francesca konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Die Vorstellung, wie Fiorella sie schimpfend und mit geschwungenem Gehstock durch den Palazzo verfolgte, war allzu komisch.
    »Es ist spät geworden, ich brauche jetzt dringend meinen Schönheitsschlaf«, verkündete Fiorella und gab ihrer Enkelin einen Gutenachtkuss auf die Stirn. Francesca wandte sich zum Gehen, an der Tür hielt sie jedoch noch einmal inne.
    »Nonna«, setzte sie zögernd an. »Bist du immer noch davon überzeugt, dass du sterben musst?«
    Fiorella nickte, ohne auch nur eine Miene zu verziehen.»Ich bin alt, blind und durch mein Rheuma verlebe ich keinen Tag ohne Schmerzen. Es ist Zeit für mich, genau wie Baldini wusste, dass seine Zeit gekommen war.«
    Francesca schüttelte heftig den Kopf. »Aber du darfst nicht sterben, Nonna. Wir brauchen dich doch. Ich brauche dich.«
    Fiorella erhob sich und kam in langsamen, kleinen Schritten auf sie zu, als würde ihr das Gehen heute besonders Mühe bereiten. Sie strich Francesca über das Haar. »Der Tod ist das Ende und der Anfang.« Mit sehnsüchtigem Gesichtsausdruck wanderten ihre trüben Augen erneut zu Leonardos Fotografie, als könne sie sein Bild trotz ihrer Blindheit betrachten. »Ich möchte zu meinem Mann. Sicherlich wartet er schon auf mich.«
    Und wenn nicht?, wollte Francesca ihr entgegenschreien. Was, wenn sich Fiorella täuschte? Wenn der Tod nur das Ende war? Dann wäre alles vorbei und ihre Großmutter hätte sich kampflos ergeben. Schon wollte sie etwas erwidern, doch dann erinnerte sie sich plötzlich wieder an die erschreckende Leere in Baldinis Gesichtszügen. Als hätte im Moment seines Todes etwas seinen Körper verlassen … Vielleicht war es Francesca, die sich täuschte? Sie hatte nicht das Recht, ihrer Großmutter ihren Glauben und ihre Hoffnung zu rauben. Trotzdem würde sie nicht einfach zulassen, dass Fiorellas Todesvision wahr werden würde.
    Fiorella lächelte sie aufmunternd an. »Keine Sorge, ich bleibe noch so lange bei dir, bis wir dich von diesem Fluch befreit haben. Dies ist meine letzte Aufgabe und heute haben wir einen wichtigen Teil davon erledigt – wir haben dasNecronomicon. Dein Großvater, möge Gott seiner Seele gnädig sein, wäre stolz, wenn er wüsste, was du heute geleistet hast! Nun geh schlafen und mach das Licht aus, wenn du rausgehst. Ansonsten beschweren sich morgen meine Töchter, dass ich unnötigerweise die Stromrechnung in die Höhe treibe.«
    Francesca drückte ihr einen Kuss auf die Wange und löschte das Licht, ehe sie die Tür hinter sich zuzog. Ihre Großmutter, die mitten im Zimmer stand, wurde von der Dunkelheit verschlungen.



 
    F rancesca zuckte zusammen und sah von ihrem Buch auf. Nicht unweit von Fiorellas Zimmer war eine Tür mit lautem Donnern ins Schloss gefallen. Nun hörte sie aufgeregte Männerstimmen durch den Flur hallen. Sie seufzte auf. Anscheinend stritten sich Antonio und Emilio schon wieder wegen des Umbaus des Palazzos. Schon beim heutigen Mittagessen hatten sie sich so angebrüllt, dass Francesca befürchtete, sie würden sich jeden Augenblick an die Gurgel gehen. Schließlich hatten sich Stella, die das Essen vorbeigebracht hatte, und Fiorella auch noch eingemischt, was den Streit allerdings nur noch mehr anheizte. Am Ende waren alle aufgestanden und wütend davongestürmt, ohne Violas Fischsuppe auch nur angerührt zu haben. So eine gereizte Stimmung hatte Francesca in ihrer Familie noch nie erlebt.
    Sie fuhr sich mit der Hand über ihre brennenden Augen. Die verschnörkelten Buchstaben schienen auf den vergilbten Seiten wild durcheinanderzutanzen. Schon gestern hatte sie das Gefühl, dass es im Zimmer ihrer Großmutter ungewöhnlich düster war, was das Lesen erheblich erschwerte. Das Licht des fünfarmigen Leuchters, der den Raum ansonsten wie einen Festsaal erleuchtete, schien plötzlich schwächer geworden zu sein und auch das Tageslicht konnte gegen das dämmrige Zwielicht nichts ausrichten. Aber das lag wahrscheinlich nur an den grauen Regenwolken, die dichtgedrängt und bauschig den Himmel bedeckten.
    »Das sind die letzten drei Bücher!«, sagte Fiorella und legte den kleinen Stapel neben Francesca auf dem Sekretär ab.
    »Gut, das schaffe ich heute noch.«
    Hoffentlich konnte sie in diesen letzten drei etwas Brauchbares finden! Das neue Jahr hatte für Francesca mit viel Arbeit begonnen. Schon seit Tagen suchte sie

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