Die Schattenträumerin
meines nächsten Romans spielen.«
Die Frau im Pförtnerhäuschen schien völlig unbeeindruckt. Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Keine Besucher.«
»Bitte«, flehte die Frau. »Es ist wichtig. Nur für eine einzige Sekunde?«
Doch die Bibliothekarin kannte kein Erbarmen. Zwischen ihren schmalen Lippen presste sie erneut hervor: »Keine Besucher.«
Die Schriftstellerin schielte am Pförtnerhäuschen vorbei auf die Tür des Lesesaals. Für einen Moment schien sie zu überlegen, ob sie ihrem Roman zuliebe einfach am Pförtnerhäuschen vorbei in den Lesesaal spurten sollte. Doch schließlich atmete sie nur geräuschvoll aus.
»Molto grazie!«, bedankte sie sich mit einem gequälten Lächeln bei der Bibliothekarin. Sie steckte ihr Notizbuch zurück in ihre Tasche und lief zum Ausgang.
»Wir werden doch nicht etwa auch solche Probleme bekommen?«, raunte Francesca ihrer Cousine besorgt zu.
Gianna zückte grinsend ihren Bibliotheksausweis. »Vor dir steht eine Einheimische mit gültigem Passierschein!«
Wenige Sekunden später standen sie auf dem roten Teppich des Lesesaals und Francesca hatte das Gefühl, in einem großen Innenhof gelandet zu sein. Über ihren Köpfen erstreckte sich über die ganze Länge des Saals ein Glasdach, durch das graues Tageslicht hereinfiel. An den lang gezogenen Holztischen saßen einige Leser im goldenen Schein der kleinen Lämpchen. Es herrschte eine respektvolle Stille, die nur ab und zu von einem dezenten Hüsteln oder dem Umblättern einer Seite unterbrochen wurde. In den Gängen rund um den Lesesaal standen überall Regale mit Büchern und durch die steinernen Rundbögen in den oberen Stockwerken konnte Francesca unzählige Reihen weiterer Bücherregaleausmachen. Wohin man auch blickte – Bücher über Bücher, die darauf warteten, gelesen zu werden. Es roch nach Leder, vergilbtem Papier, Bücherstaub und uraltem Wissen, das zwischen den Buchseiten schlummerte.
Francesca war für einen Moment so fasziniert, dass sie gar nicht bemerkte, wie Gianna zu einer Bibliotheksgehilfin trat und ihr Leonardos Zettel in die Hand drückte. Eilig schloss sie zu ihnen auf.
»… bin mir sogar ganz sicher, dass es sich dabei um einen Buchtitel handelt«, sagte die Bibliotheksgehilfin gerade in gedämpftem Ton. »Ich hatte es schon einmal in der Hand. Es ist ein außergewöhnliches Werk, da es über mehrere Jahrhunderte hinweg von verschiedenen Autoren geschrieben wurde. Allerdings wird es etwas dauern, bis ich es gefunden habe. Soweit ich mich erinnere, steht es nicht im öffentlichen Bereich.«
»Kein Problem«, versicherte Gianna. »Wie warten hier auf Sie.«
Sie drehte sich mit breitem Grinsen zu Francesca um. »Ist das nicht toll? Wir sind auf dem richtigen Weg. Sobald sie uns das Buch gebracht hat, werden wir das Rätsel lösen, du wirst sehen.«
»Hoffen wir es«, gab Francesca leise zurück.
Gianna wollte sich nicht von der Stelle rühren, bis die Bibliotheksgehilfin mit dem Buch zurück war, doch Francesca begann, durch die Regalreihen der Bibliothek zu wandern. Schon bald wurde ihr klar, dass es hier nicht die Art Bücher gab, die man in ihrem Alter gerne las. Allein beim Lesen derTitel packte sie die Langeweile – »Apologie des Sokrates« von Platon, »Das Gilgamesch-Epos« oder »De brevitate vitae – Die Kürze des Lebens« von Seneca. Die meisten Buchtitel konnte sie nicht einmal entziffern, da es sich um griechische, lateinische oder orientalische Handschriften handelte, die unglaublich alt zu sein schienen. Schließlich lief sie auf ein Regal zu, über dem ein Schild darauf hinwies, dass hier die Neuerscheinungen untergebracht waren. Francesca fragte sich, was man in dieser Bibliothek wohl unter Neuerscheinungen verstehen mochte. Waren hier vielleicht die Steintafeln mit den zehn Geboten untergebracht?
Ein dürrer Mann mit Hornbrille trat neben sie und ließ seinen Blick über die Buchrücken schweifen. Er ging in die Knie und zog ein unscheinbares Buch hervor. Sofort fiel Francesca der Titel ins Auge: »Die bösen Bücher – eine wissenschaftliche Abhandlung von Prof. Albertus von Knüttelsiel über die drei gefährlichsten Bücher der Welt.« Francesca zog scharf die Luft ein.
Als der Mann das Inhaltsverzeichnis aufschlug, rückte sie unwillkürlich näher an ihn heran. Jedes Kapitel war einem der drei bösen Bücher gewidmet: Daemonolatria, Maleficus und – das Necronomicon!
Francescas Herzschlag beschleunigte sich. Sie musste dieses Buch unbedingt
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