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Die Schattenwelt

Titel: Die Schattenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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verengten sich, und Jonathan wurde plötzlich bewusst, dass sein Griff etwas fester als nötig war.
    »Carnegie? Kommt mir irgendwie bekannt vor. Hmm …«
    Während der Mann über die Frage nachsann, spürte Jonathan, wie etwas seine Jacke berührte. Er senkte den Blick. Zu seinem Entsetzen sah er, dass eine knochige dritte Hand unter dem Umhang des Mannes aufgetaucht war und flink seine Jackentaschen durchwühlte. Jonathan schrie vor Schreck auf und versuchte zurückzuweichen, aber der Mann hatte ihn fest im Griff und drehte ihm den Arm auf den Rücken. Während die dritte Hand weiterhin nach Wertsachen stöberte, blickte der Dieb nervös nach links und rechts.
    »Hab mit dir einen guten Fang gemacht, nicht wahr?«, murmelte er.
    Während er sich über ihn beugte, konnte Jonathan den Verwesungsgeruch wahrnehmen, der ihn umgab. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, und er versuchte erneut, sich zu entwinden.
    »Da bist du ja!«, ertönte die Stimme eines Mädchens.
    Jonathan und der Dieb wirbelten beide herum. Sie war jung, vielleicht vierzehn oder fünfzehn, ihr feuerrotes Haar ruhte kunstvoll drapiert auf ihren Schultern, und sie war in einen schweren schwarzen Mantel gehüllt. Sie ignorierte den erschrockenen Blick des Diebes, schob sich an ihm vorbei und bohrte ihren Finger in Jonathans Brust.
    »Wo hast du gesteckt? Ich habe dich überall gesucht!«
    »Ich … ähm …«, stammelte Jonathan.
    »Hör auf zu stottern!«, schrie das Mädchen ihn an. Sie wandte sich dem Dieb zu, der sich angesichts des Spektakels sichtlich unwohl fühlte, und lächelte ihn freundlich an.
    »Danke … Yann, wenn ich mich recht entsinne? Ich erinnere mich, Sie oben im Haus gesehen zu haben. Sie haben meinen Herrn besucht. Sie erinnern sich daran, wer er ist, nicht wahr?«
    Der Mann nickte mürrisch.
    »Also denken Sie sicherlich nicht im Traum daran, mir wehzutun. Oder meinem Bruder. Denn Sie wissen, was dann geschehen würde, oder?«
    Sie zwinkerte ihm sogar zu. Der Dieb lenkte widerwillig ein und gab Jonathan frei. Die dritte Hand verschwand wieder unter seinem Umhang und mit einem hasserfüllten Blick schlich er sich davon.
    »Wow … danke«, stieß Jonathan erleichtert hervor. »Das war unglaublich!«
    Als das Mädchen sich wieder zu ihm umdrehte, hatte ihre Stimme ihren wohlwollenden Klang verloren. Sie sprach mit einem kalten, eindringlichen Tonfall.
    »Hör zu, ich weiß nicht, wer du bist oder was du glaubst, hier zu tun, aber du bist bald ein toter Mann, wenn du dich weiterhin so verhältst.«
    »Wie verhalte ich mich denn?«
    »Wie jemand, der sich nicht zurechtfindet. Als wärst du ein Trottel.«
    »Aber ich finde mich nicht zurecht!«, entgegnete er hilflos. »Wie soll ich mich denn verhalten?«
    Das Mädchen war schon weitergegangen. Jonathan rannte ihr hinterher.
    »He … warte auf mich!«
    Sie blickte ihn ungeduldig an.
    »Hast du kein Zuhause oder sonst irgendeinen Ort, wo du hingehen kannst?«
    Jonathan packte sie am Arm und zwang sie, stehen zu bleiben.
    »Weißt du was? Nein, hab ich nicht. Ich wurde fast entführt, bin beinahe ertrunken und befinde mich nun an diesem seltsamen Ort, wo mich jeder umbringen will. Ich könnte wirklich ein wenig Hilfe gebrauchen, verstehst du?«
    Er brüllte nun in einer Lautstärke, die erkennen ließ, dass es ihm egal war, ob sie jemand hörte oder nicht. Das Mädchen schürzte die Lippen und blickte auf ihre Füße.
    »Und wie kann ich dir deiner Meinung nach helfen?«, fragte sie schließlich.
    »Ich suche nach einem Typen namens Carnegie. Ich hab seine Adresse verloren. Kennst du ihn?«
    » Jeder kennt Carnegie.«
    »Weißt du, wo ich ihn finden kann?«
    Das Mädchen schielte zum Mond hinauf.
    »Zu dieser nächtlichen Stunde ist er vermutlich in seiner Wohnung. Folge der Hauptstraße ungefähr fünf Minuten lang. Dann bieg links in die Fitzwilliam-Straße. Carnegies Wohnung ist im zweitenStock. Ich würde ihn aber an deiner Stelle nicht gerade jetzt stören.«
    »Danke, aber ich kann nirgendwo anders hin. Ich muss es einfach riskieren.«
    Er hielt inne und war plötzlich verlegen.
    »Hör zu, mein Name ist Jonathan und …«
    Aber sie lief bereits fort und rief ihm unbekümmert über ihre Schulter zu:
    »Viel Glück, Jonathan. Und versuche, am Leben zu bleiben.«
    Er dachte kurz daran, ihr nochmals hinterherzurennen, aber der rote Haarschopf war bereits in der Menge verschwunden.

    Die fünf Minuten Marsch die Hauptstraße entlang erschienen ihm wie die längsten seines

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