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Die Schattenwelt

Titel: Die Schattenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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Lebens. Es kam ihm vor, als folgte ihm die Gefahr auf Schritt und Tritt. Blutunterlaufene Augen starrten in feindselig an, vernarbte Gesichter grinsten ihm mit irrem Blick entgegen. Jonathan verbarg sein Gesicht unter seiner Kapuze und senkte den Blick auf den schmutzigen Bürgersteig. Einmal rutschte er aus, trat in den Rinnstein und wurde fast von einem Pferdefuhrwerk überfahren. Der Kutscher peitschte wild auf sein Pferd ein, das wiehernd und mit Schaum vor dem Maul vorbeipreschte. Als Jonathan die Kreuzung erreichte, war er gründlich wach gerüttelt. Über seinem Kopf konnte er auf einem verbeulten Straßenschild lediglich die Buchstaben » FITZ « erkennen. Der Rest verbarg sichunter einer dicken Rostschicht. Darunter hing ein schmutziges Plakat, das zwei Jungen zeigte, die von einer Hundemeute angefallen wurden. Daneben stand in großen Buchstaben geschrieben »Sensationelle neue Attraktion: Kampf bis zum letzen Tier!«. Von der anderen Straßenseite her erschallte ein markerschütterndes Gebrüll, dem ein spitzer Schrei folgte. Jonathan überlegte nicht lange und bog eilig nach links ab.
    Wirkte die Hauptstraße noch wie ein Fiebertraum, so war die Fitzwilliam-Straße die Ausgeburt eines Albtraums. Es war eine schmale, verwinkelte Straße, gerade breit genug für ein Pferdefuhrwerk. Schäbige Häuser erhoben sich zu beiden Seiten. Die Fassaden der Geschäfte schienen die Narben einer Schlacht zu tragen: Die Schilder waren heruntergerissen, die Fenster zerbrochen und die Türen zerschmettert. In einem Laden sah Jonathan die Reste eines kleinen Feuers vor sich hin glimmen. Keine einzige Straßenlaterne brannte, und Jonathan musste sich mit dem schwachen Leuchten des Mondes, der die einzige Lichtquelle bot, begnügen.
    Etwas weiter die Straße hinunter erblickte er eine Gruppe Jungendlicher, die mürrisch vor einem Laden Wache hielten, über dessen Eingang auf einem Schild »Doonesburys Bestattungsunternehmen« stand. Obwohl sie dieselbe altmodische Kleidung trugen wie die Menschen auf der Hauptstraße, schätzte Jonathan, dass sie ungefähr in seinem Alter waren. Sie warfen abwechselnd brennende Streichhölzer in den Rinnstein und ihr aggressives Gehabe verhieß nichtsGutes. Als Jonathan die Szene beobachtete, entdeckte er über dem Bestattungsunternehmen ein weiteres Schild, auf dem schlicht »Elias Carnegie« stand. Großartig. Wenn er dort hinaufwollte, musste er an der Gang vorbei.
    Als er sich ihnen näherte, brach ein Streit aus, da einer der Jungen beschlossen hatte, ein Streichholz gegen einen anderen zu schnippen. Jonathan versuchte, den Aufruhr zu seinem Vorteil zu nutzen und sich an ihnen vorbeizustehlen, aber sie entdeckten ihn sofort und umkreisten ihn wie Hyänen.
    Der Kleinste von ihnen – dessen großspuriges Auftreten den Verdacht nahelegte, dass er der Anführer war – stieß ihm den Finger in die Brust.
    »Wer zum Teufel bist du?«
    »Ich bin Jonathan.«
    »Du bist in unserem Revier. Leute, die unser Revier betreten, kriegen Ärger. Suchst du Ärger?«
    Jonathan deutete auf das Schild über dem Laden.
    »Ich will nur Carnegie besuchen«, entgegnete er.
    Ihnen stockte sichtlich der Atem. Die Blicke der Jugendlichen wanderten verunsichert hin und her.
    »Du kennst ihn nicht«, höhnte einer von ihnen.
    »Ich bin sogar mit ihm befreundet.«
    »Du lügst! Er hat keine Freunde!«
    »Ich geh rauf, um ihn zu besuchen. Willst du mitkommen und dich persönlich davon überzeugen?«
    Jonathan ließ die Herausforderung im Raum stehen. Niemand sagte etwas, dann drehte sich der Anführer der Gang um und schlurfte die Straße entlang.
    »Kommt. Das ist langweilig.«
    Die anderen Jungs stießen Jonathan zur Seite und folgten ihm. Es schien, als sei es in dieser Gegend recht hilfreich, Carnegies Namen zu kennen. Nun musste er nur noch den Mann treffen, der auf diesen Namen hörte.
    Jonathan schlüpfte durch die Eingangstür und schlich die heruntergekommene Treppe hinauf. Am Ende des Treppenabsatzes befand sich eine schwere rote Tür, die mit Kratzspuren übersät war. Daneben hing ein Messingschild an der Wand, auf dem die Inschrift »Elias Carnegie. Privatdetektiv« eingraviert war. Jonathan läutete, aber niemand antwortete, und auch als er klopfte, kam keine Reaktion. Schließlich versuchte er es mit dem Türknauf. Er ließ sich drehen und Jonathan betrat den Raum.
    Carnegies Wohnung war karg eingerichtet, um es höflich auszudrücken. Obwohl kein Licht brannte, konnte Jonathan im Halbdunkel zwei

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