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Die Schattenwelt

Titel: Die Schattenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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Hölle los. Skeet ist verschwunden und ich hätte beinahe Humble verloren. Er wird jetzt versorgt, aber ich weiß nicht, ob er durchkommt.«
    »Mein Beileid. Was ist passiert?«
    »Es war der Junge. Der Starling-Junge.«
    Raquella hielt erschrocken die Luft an. Am Kamin zuckte Vendetta zusammen, als Jonathans Name fiel.
    »Du weißt, wo er ist?«
    »Ich weiß, wo er war . Wir haben es geschafft, ihn zu Grimshaw zu bringen, aber es ist ihm irgendwie gelungen zu fliehen. Er hat den anderen Jungen mitgenommen.«
    Vendetta lächelte schmallippig und ging hinüber zum Barschrank. Er schenkte sich etwas von einer zähen, dunklen Flüssigkeit aus einer Kristallkaraffe ein und nahm einen tiefen Schluck. Ein wenig Farbe kehrte auf sein Gesicht zurück.
    »Ich würde den Jungen gerne in die Finger bekommen.«
    »Nun«, fuhr Marianne fort, »du könntest ja einfach Carnegie fragen.«
    Vendetta wirbelte herum.
    »Was?«
    »Carnegie. Der Detektiv. Er beschützt den Jungen, seit er in Darkside ist. Wusstest du das nicht?«
    Vendetta stellte sein Glas ab. Seine Hände zitterten vor unterdrücktem Zorn.
    »Nein. Das wusste ich nicht«, entgegnete er mit beängstigend ruhiger Stimme. Die Schatten im Raum wurden länger.
    »Es muss einen Grund dafür geben haben, dass du diese Informationen für dich behalten hast.«
    Vendetta beugte sich zu Marianne hinunter.
    »Warum erzählst du mir das jetzt?«
    Marianne zuckte mit den Schultern.
    »Ich brauche Skeet, um den Jungen zu finden. Ich benötige Humbles Hilfe, um ihn zu fangen. Beide habe ich jetzt nicht zur Verfügung. Der Junge hat zwei meiner Partner verletzt und mich außer Gefecht gesetzt, zumindest für den Moment. Deshalb dachte ich mir, ich komme vorbei und erzähle dir alles. Außerdem möchte ich dir etwas geben, das ich im Kabinett gefunden habe.«
    Sie schob ihre Hand unter den Umhang. Die Bewegung verursachte ihr Schmerzen und sie zuckte zusammen. Dann zog sie einen kleinen Gegenstand hervor. Raquella lehnte sich vor, um ihn besser sehen zu können. Sie hatte immer noch große Angst, entdeckt zu werden. Doch sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Vendettas Augen fixierten einen schmalen Dolch, den Marianne in ihrer blutverschmierten Handfläche hielt.
    »Sind wir jetzt wieder quitt?«, fragte die Kopfgeldjägerin.
    Vendetta entriss ihr den Dolch, verzog sich in eine Ecke, kauerte sich zusammen und murmelte vor sich hin, während er seinen Schatz in den Armen wiegte und tätschelte. Marianne sah ihn schockiert an und ließ sich in ihren Stuhl zurücksinken. Vendetta, der sonst immer so mondän und kultiviert war, verhielt sich plötzlich wie ein Tier. Schließlich erhob er sich und steckte den Dolch in seinen Gehrock. Er nahm wieder seine gebieterische Haltung an, lächelte und streichelte Mariannes zitternde Wange.
    »Dafür bin ich dir dankbar. Du wirst belohnt werden.«
    »Und was nun?«, flüsterte sie. »Wirst du dem Starling-Jungen wehtun?«
    »Ihm wehtun ? Er hat versucht, mich zu hintergehen, Marianne – er wird sterben. Aber nicht, bevor er die wahre Bedeutung des Wortes Schmerz kennengelernt hat. Nicht, bevor ich seinem Vater einen Besuch abgestattet habe.«
    Raquella zog sich hastig und leise vom Balkon zurück. Sie durfte keine Zeit verlieren.

22
    Carnegie warf ein weiteres Scheit ins Feuer und seufzte gedehnt. Er ließ sich tiefer in seinen Stuhl sinken und wärmte sich an der Hitze des Kamins. Der Widerschein des Feuers beleuchtete die Schnittwunden in seinem Gesicht: klaffende Erinnerungen an seinen Kampf mit Skeet. Der animalische Ausdruck in seinem Gesicht war gewichen, seine Haut war wieder glatt und die Klauen hatten sich zurückgebildet. Er wirkte nun erschöpfter und menschlicher als je zuvor.
    Ricky hingegen musste selbst in Carnegies verhältnismäßig sicherem Büro mit sich ringen, um die Ruhe zu bewahren. Er saß kerzengerade da, sein Kopf fuhr beim leisesten Geräusch herum, und sein Körper zuckte zusammen, wenn ein Schrei auf der Fitzwilliam-Straße widerhallte. Jonathan wusste, wie er sich fühlte. Das Adrenalin strömte durch seine Venen. Seit er Darkside betreten hatte, musste er ständig rennen und kämpfen, und doch hatte er sich noch nie lebendiger gefühlt als jetzt. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Jonathan vor nichts Angst. Trotzdem ging er um Rickys willen zum Fenster und zog die Vorhänge zu.
    »Was sollen wir jetzt machen, Carnegie?«
    »Jetzt? Ausruhen«, murmelte der Wermensch. »Schick Ricky zurück nach Lightside. Dann

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