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Die Schattenwelt

Titel: Die Schattenwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Becker
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angebracht.
    »Vendettas Auto«, erklärte Raquella. »Ich habe es mir ausgeliehen.«
    »Kannst du es fahren?«
    »Ich kann es zum Laufen bringen. Der Rest ergibt sich dann von selbst.«
    Sie schwang sich auf das Fahrzeug, rückte ordentlich ihren Rock zurecht und nahm auf dem Fahrersitz Platz. Jonathan und Ricky kletterten auf die Rückbank, während Carnegie um das Fahrzeug herumgingund eine Kurbel an der Vorderseite des Kastens drehte.
    Jonathan lehnte sich nach vorne und flüsterte Raquella ins Ohr.
    »Man muss das Ding aufziehen, damit es läuft?«
    Knatternd und ratternd, erwachte der Motor zum Leben und die Insassen wurden auf ihren Sitzen kräftig durchgeschüttelt. Raquella drehte sich um und warf Jonathan einen verärgerten Blick zu.
    »Wir haben keine Zeit zu verlieren und dies ist das schnellste Fahrzeug von Darkside«, fauchte sie verärgert. »Du kannst gerne zu Fuß gehen, wenn du willst.«
    Carnegie sprang in den Wagen und Raquella fuhr laut hupend mit quietschenden Reifen los.
    Es war eine Fahrt, die Jonathan niemals vergessen würde. Sie fuhren gar nicht so schnell, aber da das Fahrzeug weder Seitenwände noch Türen hatte, waren sie völlig ungeschützt. Sie mussten sich an ihre Sitze klammern, damit sie nicht auf die Straße geschleudert wurden. Neben Jonathan schwankte Ricky hin und her und hüpfte auf und ab. Jedes Mal, wenn Raquella auch nur leicht am Lenkrad drehte, stießen die beiden Jungen zusammen. Der Wind zerzauste ihnen die Haare und unter ihnen ratterte das Kopfsteinpflaster, aber dennoch musste Jonathan vor Vergnügen grinsen. Wie zu nächtlicher Stunde in Darkside üblich, waren die Straßen mit Droschken, Fuhrwerken und umherlaufenden Straßenjungen überfüllt, aber Raquella nahm keine Notiz von ihnen.Unentwegt hupend fuhr sie unbeirrbar geradeaus, ohne Rücksicht auf den entgegenkommenden Verkehr zu nehmen und ohne sich von den überraschten Ausrufen und Flüchen der anderen Fahrer beeindrucken zu lassen.
    Sie rasten die Hauptstraße entlang, vorbei an den betuchten, juwelenbehangenen Darksidern, die vor »Kinskis makaberem Theater« flanierten, vorbei an den blutüberströmten Paaren, die sich vor der »Blutspielbank« stritten und vorbei an den einsamen, verhuschten Gestalten, die vor dem »Irren-Club« lungerten. Jonathan zählte mindestens drei Fuhrwerke, die auf den Bürgersteig ausweichen mussten, um einen Zusammenprall mit dem Auto zu vermeiden. Pferde bäumten sich auf und wieherten panisch. Chaos breitete sich auf der Straße aus und in seiner Mitte quäkte stolz Vendettas Hupe.
    Auf dem Vordersitz fühlte sich Carnegie sichtlich unbehaglich. Er zuckte jedes Mal zusammen, wenn sie einem Zusammenstoß knapp entgingen, und schlug die Hände vor die Augen, wenn Raquella an der Seite einer Kutsche entlangschrammte. Einmal drehte er sich zu ihr und brüllte: »Willst du uns alle umbringen? Fährst du immer so?«
    Sie antwortete, ohne ihren Blick von der Straße abzuwenden.
    »Auf dem Hinweg schon. Davor bin ich noch nie gefahren.«
    Carnegie stöhnte und ließ den Kopf in die Hände sinken.
    Der Wagen verließ die Hauptstraße und schoss das leichte Gefälle nach Savage Row hinab. Es wurde stiller, eine frische Brise wehte, und das Mondlicht umspielte die Blätter der Bäume. Hinter ihnen wurden die gewaltigen Silhouetten der Fabriken und Schornsteine von Darkside kleiner und kleiner.
    Nach kurzer Zeit tauchten vor ihnen die gotischen Umrisse von Vendetta Heights auf. Das Tor stand offen und der Wagen flog über den Schotter die Auffahrt hinauf. Sie passierten den Brunnen mit dem weinenden Kind, Raquella trat auf die Bremse und das Fahrzeug kam schlitternd vor dem Haupteingang zum Stehen. Der Motor schepperte und Wasser lief wie Schweißtropfen über die Haube. Jonathan fühlte sich nach der holprigen Fahrt etwas wackelig auf den Beinen und wäre beim Aussteigen fast gestürzt.
    Raquellas Gesicht war rußgeschwärzt, aber sie grinste von einem Ohr zum anderen.
    »Keine schlechte Fahrt, was? Ich werde von Mal zu Mal besser.«
    Carnegie stieg langsam ab.
    »Junge Dame, du fährst nie wieder. Nie wieder.«
    Schmollend erklomm sie die Stufen zur Eingangstür.
    Im Haus war es stockfinster. Raquella entzündete eine Kerze und lief leise durch die Eingangshalle. Das Licht warf tanzende Schatten auf die holzvertäfelten Wände und die bizarren Gemälde.
    »Ist irgendjemand hier?«, flüsterte Ricky.
    »Sollte nicht. Der Koch müsste schon nach Hause gegangen sein, und ich bin die

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