Die Schatzhöhle
dem Schlummer reißen. Nur Ojo reagierte kaum. Er veränderte lediglich seine Lage.
Michel packte ihn am Kragen und zog den schweren Mann hoch. Das wirkte.
Der Riese öffnete blinzelnd die Augen. Mit einemmal war er hellwach.
»Demonio«, entfuhr es ihm. »Ihr seid noch hier, Señor Doktor?« »Noch? — Wie kommst du darauf? Ich bin schon wieder hier.« Ojo riß die Augen auf.
»Was denn — wie denn —? Ihr wart schon bei den Trägern und habt sie zu Ugawambi
gebracht?«
»Ja.«
»Wie spät ist es?«
»Fünf Uhr.«
»Das ist ja noch früh! Weshalb hat mich der Junge nicht geweckt?«
»Ich meine fünf Uhr nachmittags, amigo!«
»Wa — wa — was?« Ojo war ehrlich bestürzt.
»Du hast also den ganzen Tag verschlafen. Ein Wunder nur, daß die Sklavenjäger dein Schnarchen nicht gehört haben. — Du weißt also nicht, wo Tscham ist?«
»Nein — ja — das heißt, er wollte aufpassen, was die Burschen inzwischen machen.« »Sie sind inzwischen über alle Berge. Und es hat den Anschein, als sei Tscham bei ihnen. Vorn am Waldrand sind deutliche Spuren eines Kampfes. Sie werden ihn gefunden und überwältigt haben. Dann haben sie ihn sicherlich mitgeschleppt.« »Und — und ich, ich habe nichts davon gehört«, seufzte Ojo.
»Du mußt sehr müde gewesen sein, Diaz. Komm, versäumen wir keine Zeit. Wir reiten ihnen nach.«
Drei Stunden später bemerkten sie Rauch. Der Wald trat zurück. Vor ihnen lag buschbewachsene Steppe.
»Halt«, sagte Michel. »Ich nehme an, daß der Rauch von einem Lagerfeuer kommt. Wir können nicht mehr in gleichem Tempo weiterreiten. Sonst werden wir vielleicht bemerkt.« »Was sollen wir tun?«
»Warten, bis es dunkel ist. Dann reiten wir vorsichtig heran. Du bleibst bei den Pferden, ich schleiche mich an. Will sehen, ob sie Verstärkung bekommen haben und wie die Gesamtlage aussieht.«
Sie lagerten sich hinter einem Gebüsch und ruhten sich vom anstrengenden Ritt aus.
Es dauerte nicht lange, und die Dunkelheit kam.
»Weiter«, sagte Michel und saß auf. Ojo folgte ihm.
Sie gaben acht, daß die Hufe ihrer Pferde nicht zu viel Geräusch verursachten. Sie ritten langsam, fast schleichend. Sie hielten die Zügel kurz.
Bis auf etwa zweihundert Meter kamen sie an denLagerplatz. Michel hatte die Büchse schußbereit in den Händen. Aber sie wurden nicht bemerkt. Der Pfeifer gab Ojo das Zeichen abzusteigen.
Hier standen überall Buschgruppen im Gelände, hinter denen man die Tiere verbergen konnte. Leise saßen sie ab. Schritt für Schritt zogen sie die Tiere in ein Gebüsch. Zweige knackten; aber niemand ließ sich sehen. Die Sklavenhändler schienen sich so sicher zu fühlen, daß sie nicht einmal Wachen ausgestellt hatten.
»Leg dich hier nieder, Diaz«, sagte Michel, »und bewache das Lager sorgfältig. Vielleicht mußt du mich in irgendeiner Situation mit der Büchse decken. Solltest du Schüsse aus meiner Muskete hören, so nimm dir den nächsten Araber aufs Korn und schieß ihm in die Beine.« »Bien«, sagte Ojo. »Werdet Ihr lange bleiben, Señor Doktor?«
»Ich kann keine Zeit festsetzen. Erst muß ich wissen, wie es da vorn aussieht.«
Kurz darauf war er verschwunden. Ojo hatte den Eindruck, als habe ihn der Erdboden verschluckt.
38
Michel schlug einen Bogen. Westlich vom Rastplatz gab es mehr Gebüsch, das ein Anschleichen erleichterte.
Von Strauch zu Strauch huschte er. Die Büchse hinderte ihn zwar in seinen Bewegungen; aber er
legte sie trotzdem nicht zur Seite.
Jetzt hatte er einen guten Überblick.
Zwanzig Meter links von ihm lagen die erschöpften Schwarzen. Man hatte ihnen auch zum Schlafen nicht Leitern oder Fesseln abgenommen.
Michels Augen suchten nach Tscham. Der Junge war nirgends zu sehen. Auch Abu Sef war seinen Blicken noch entzogen.
Aber als sein Auge weiter in die Runde schweifte, bemerkte er, wie die arabischen Treiber immer wieder in ein und dieselbe Richtung gingen oder aus ein und derselben Richtung kamen. Dort mußte Abu Sef sein. Und dorthin mußte Michel.
Plötzlich drückte er sich ganz fest an den Boden. Vor Erstaunen hatte er fast einen Schrei ausgestoßen. Keine zehn Meter neben ihm wieherten Pferde.
Als er weitergekrochen war, stellte er fest, daß er unmittelbar neben einem flüchtig umzäunten Korral gelegen hatte.
Er zuckte die Achseln und dachte resigniert: jetzt haben sie Verstärkung bekommen.
Damit hatte er auch nicht unrecht. Die Sklavenjäger waren genau an der Stelle angelangt, wo sie fünf Mann mit den Pferden
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