Die Scheune (German Edition)
herbei, die ihre mit Vernunft übertraf. Sie scheute den Alleingang im Dunkeln, um ihn zu suchen. Die Angst vor Gewalttätigkeit trug sie seit ihrer ersten Ehe mit eisernen Ketten mit sich herum und vermochte sie nicht abzulegen. Also blieb sie daheim und schaltete zur Ablenkung den Fernseher ein.
Sarah war zu benommen, um auf die Uhr zu schauen, als sie den Schlüssel in der Haustür hörte. Sie war sicher, dass es spät in der Nacht oder früh am Morgen sein musste. Draußen war es dunkel. Das Nachtprogramm hatte versucht, durch die dritte Ausgabe von Psycho ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber sie war eingeschlafen.
„Wo warst du?“, fragte sie verschlafen, als Dane im Wohnzimmer vor ihr stand. Auf seiner Stirn spiegelten sich Schweißtropfen, und sein Gesicht war rot. Sein schneller Atem verriet ihr, dass er gerannt sein musste – nicht langsam, sondern irrsinnig schnell. Er schwitzte selten.
„Ich war bei den Heddons. Hab' geguckt, ob alles in Ordnung ist, wenn Jim kommt.“
Sie nickte gleichgültig, fragte nicht weiter nach und ging wortlos ins Bett.
Es beruhigte sie irgendwie, dass er immer wieder plausible Antworten gab und sich nicht in Lügen zu verstricken schien.
Sie unterschätzte ihn gewaltig. Ihr fiel auf, dass er nicht duschte, denn das hatte er schon bei den Heddons erledigt. Seine Hände schmerzten. Der alte, verrostete Zaun um den Edwardsville Cemetery musste wirklich bald neu gestrichen werden.
Sein unruhiger Schlaf ließ Sarah zweimal in der Nacht wach werden. Im Traum unterzog er sich ununterbrochen seelischen Strafen. Er drohte sich das Alleinsein sowie die Einweisung in eine Psychiatrie an. Es quälten ihn Wahnvorstellungen von Dingen, die er imstande war zu tun.
Erst spät am Morgen um neun Uhr war die Nacht für Dane zu Ende. Ein völlig neues Gefühl ließ ihn erwachen und erschrecken zugleich. Sarah lag nicht neben ihm. Sie war weg!
Von unten hörte er plötzlich die Geräusche von leiser Radiomusik, dem Klappern von Geschirr und das fröhliche Pfeifen seiner Frau. Sarah war nicht weg.
Nach dieser beruhigenden Feststellung überkam ihn der Drang nach einer Dusche so unerbittlich wie nie zuvor, und er bemerkte, wie wenig es mit körperlicher Reinlichkeit zu tun hatte – nicht der Reinlichkeit, warum andere Menschen sich duschten. Es war ihm zu einer Notwendigkeit wie das Trinken und das Essen geworden. Es war auch kein schönes Gefühl mehr, darunter zu stehen; es war anstrengend und zermürbend geworden.
Er versuchte, Sarah dennoch frisch und munter unter die Augen zu treten. Sie flötete ein fröhliches guten Morgen herüber und versuchte, sein Lächeln nicht zu sehen.
Er wollte antworten, aber sie fiel ihm ins Wort: „Ich fahre gleich weg. Ich brauche neue Materialien für meine Blumenbinderei. Dann wollte ich noch gerne zur Buchhandlung. Du weißt ja, das könnte Stunden dauern.“ Sie schob sich rasch den Rest ihres Butterbrotes in den Mund, trank hastig den Kaffee im Stehen und verschwand mit einem schnellen Gruß.
Dane stand wie getadelt in der Küche und konnte dieser Szene überhaupt keinen Glauben schenken. Seine Bemühungen, ihr die Chance für einen neuen Anfang einzuräumen, zerschlugen mit dem Knall der Haustüre und hinterließen eine große Wut in ihm. Dann kam der Druck. Er ballte sich wie Sprengstoff in seinem Kopf zusammen, der darauf wartete, gezündet zu werden. Er schwankte und hielt sich am Tisch fest. Das Radio plärrte Rockmusik von Van Halen. Wütend schlug er das Ding zu Boden. Es zerschellte in tausend Teile. Er hatte keine Lust auf diese Musik und auch keinen Hunger. Mit schnellen Bewegungen räumte er den Tisch ab und beseitigte anschließend das zerbrochene Radio mit einer Kehrschaufel. Wieder schrie die Dusche nach ihm. Er flüsterte ein leises Nein in die Stille des Hauses, aber sie zog ihn mit der Kraft einer Droge zu sich in das heiße Wasser. Aus einer Stunde wurde eine zweite, dann erst verspürte er die Reinigung, die er für diesen Tag brauchte. Der Schmutz von heute Morgen hatte sich abgewaschen, mit ihm seine Geduld. Jetzt glänzte sein wahres Ich wieder. Es strahlte ihn an und sagte: jetzt hast du mich wieder . Und er sagte beruhigt: ja .
Dass nicht alles sofort wieder mit dieser Erregung beginnen konnte, war ihm klar. Klar war aber auch, dass ihn wieder dieser unüberwindliche Gegner – die Zeit – einholte. Er hatte nun Zeit und wusste nichts damit anzufangen. Zunächst kochte er sich starken Kaffee.
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