Die Scheune (German Edition)
die Aggressionen frei, die Dane verspürte, als er seine Praxis betreten hatte. Er spürte den Kopfschmerz von hinten in seinen Kopf einziehen. Ihm wurde schwarz vor Augen. Sein Gehirn schickte ihm Bruchstücke des morgendlichen Vorfalls ins Bewusstsein. Das löste einen jämmerlichen Schrei von ihm aus. „Neiin!!“, schrie er und hielt sich die Ohren zu. Seine Hysterie hallte durch die gesamte Praxis.
Dr. Hendell knallte ihm seine flache Hand ins Gesicht. „Es ist gut, Mr. Gelton!“, sagte er laut. Damit war ihm klar, dass er jetzt nicht mehr von Hypothesen sprechen konnte. Was da vor ihm lag, war ein absolut entgleister Mensch. Wie gefährlich die Entgleisung sein würde, musste unbedingt festgestellt werden. Der Gesichtsausdruck seines Patienten sprach Bände von tiefer Verwirrung. Schon allein seine Blicke fanden keine Ruhe. Sein ganzes Gesicht zuckte, und der Arzt war sich sicher, niemals zuvor einen solchen Menschen vor sich gehabt zu haben – nicht in seiner Praxis. Die waren in geschlossenen Kliniken zu finden.
Ein hartes Stück Arbeit lag vor ihm.
Durch die überraschende Ohrfeige von Dr. Hendell sprang Dane von der Liege auf und schämte sich zugleich.
„Möchten Sie einen Kaffee, Mr. Gelton?“, fragte der Arzt.
Dane vergrub sein zermartertes Gesicht in beiden Händen und nickte. Der Arzt gab seiner Sekretärin über die Sprechanlage Bescheid. Dann wandte er sich wieder an Dane: „Ihre Frau hat eben angerufen.“
Dane sah hoch. „Sarah?“
Der Arzt nickte. „Sarah.“
„Was sagte sie?“
„Schlimme Sachen.“
„Ja, sie hatte von Anfang an recht. Sie hatte gestern recht, sie hatte heute recht. Verdammt, sie hat immer recht!“
„Heute? Was war heute?“
„Sie sagte, wenn ich Lust an meinem Zustand empfinde, dann sei es vorbei.“
„Und? Haben Sie Lust empfunden?“
„Ich wollte sie schlagen ... und fand es in Ordnung. Für kurze Zeit zumindest. Ich habe den ganzen Küchentisch gegen sie gekippt und wollte ihr an den Hals. Ich habe sie angegriffen!“
„Haben Sie sie verletzt?“
„Nein! Sie konnte rechtzeitig ausweichen. Oh Gott ... bin ich jetzt krank?“
Die Sekretärin kam mit zwei Tassen Kaffee herein. Dr. Hendell forderte Dane höflich auf, ihm in sein Arbeitszimmer zu folgen, das ihnen eine entspanntere Atmosphäre bot.
Mit berechnender Ruhe genoss der Psychologe seinen Kaffee, während Dane ihn zitternd mit kleinen Schlucken einsog.
„Fühlen Sie sich krank?“
Die erwartete Antwort blieb aus. Das war ihm fast klar. Sprach Sarah nicht von seiner Sturheit? Gut, Sturheit war zu brechen.
„Darf ich Sie Dane nennen?“
Dane nickte.
„Danke. Das ist sehr nett von Ihnen. Sarah liebt Sie sehr.“
„Schön.“
„Ja.“
„Und?“
„Sagen Sie was. Sie sind gekommen, nicht ich.“
Stille. Der Arzt blieb ruhig und beobachtete Dane. Was er beobachtete, war erstaunlich. Wo er eben noch einen verzweifelten Menschen vor sich hatte, saß ihm nun ein beherrschter und disziplinierter Mann gegenüber – freundlich, adrett und sympathisch. Der Arzt stellte fest, dass sich nicht nur der Gesichtsausdruck, sondern auch seine Haltung mit seinen Stimmungen veränderte. Eine phantastische Fähigkeit, wie er bemerkte, und er dachte an die zweistimmige Konversation, die Dane mit sich selbst in der Scheune geführt hatte, von der ihm Sarah gestern berichtet hatte. Er dachte an eine Persönlichkeitsspaltung, – aber das war es nicht. Wohl eine Spaltung, aber auf einer ganz anderen Bewusstseinsebene. Konnte er bei diesem Menschen überhaupt noch von Neurosen sprechen? Es schien ihm, als sei Dane schon einige Schritte über die Neurosen hinausgegangen. Er stellte Berechnung und Theater zur Schau. Sprach Sarah nicht davon, dass sein Vater psychopathisch veranlagt gewesen war?
Hendell lächelte und fragte: „Möchten Sie wieder nach Hause?“
„Ja.“
„Dafür sind Sie gekommen?“
„Es war ein Fehler.“
Hendell wurde ernst. Er hatte sich eine andere Antwort erhofft. Aber da kannte er Dane schlecht. Wie oft hatte es Johnathan schon versucht, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Wie oft hatte er eine harte Abfuhr bekommen. Dane ließ es immer noch nicht zu, dass einer in ihm herumwühlte. Und das erkannte der Arzt jetzt nur allzu gut. Es war ganz klar ein Kurzschluss gewesen, der Dane hier hatte erscheinen lassen – nicht sein aufrichtiger Wille. Es war die Panik, etwas gezeigt zu haben, was er niemals zeigen durfte. Nun verstand Hendell Sarahs Angst.
„Dann rufe ich jetzt
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