Die Scheune (German Edition)
hast du diesen verlogenen Zettel hinterlegt, du verdammter Hitzkopf! Guck mal, wie du aussiehst! Du musst jetzt kämpfen, hörst du? Gib nicht auf.“
Dane lag regungslos zwischen Kissen und Schläuchen und zeigte keine Reaktion. Eine Art Friede umschloss sein Gesicht, wären da nicht all diese hässlichen Schwellungen im Gesicht. Das Haar lag korrekt und spiegelte seine Eleganz auch in dieser verdammten Umgebung wieder.
Johnathan verspürte das Bedürfnis, ihm unendlich viel mitteilen zu müssen – Gedanken, Wünsche, Erinnerungen, Dankbarkeit, aber ihm fehlten die Worte. Er fühlte sich mitverletzt. Zum ersten Mal berührte er sein Gesicht, und es war, als berührte er einen eigenen Sohn. Dann tat sich etwas:
Das Piepen der Maschine wurde plötzlich schneller – wie der Start einer Rakete. Johnathan blickte auf die geschlossenen Augen seines Freundes. Komm Junge, versuch zu blinzeln! Er flehte ... er betete ... er dankte Gott, dass Dane erwachte. Er umschloss nun seine Hand, als wollte er ihn halten, beschützen, vor irgend etwas. Dann kam die erste Reaktion von Dane – so unerwartet wie schockierend für Johnathan. Er schilderte es mir später so:
„Dane durchfuhr ein schockartiges Zucken am ganzen Körper. Er riss seine Hand ruckartig aus meiner. Schläuche erzitterten und lösten sich.“
Johnathan war furchtbar entsetzt und hatte hastig den roten Knopf gedrückt. Zwei Minuten später kam ich herein gestürzt. „Ist er aufgewacht?“
„Ich glaube, ja. Nimm mal seine Hand.“
„Seine Hand?“, fragte ich irritiert und sah zu Dane. Der lag inmitten dem Wirrwarr von Schläuchen, aber ruhig.
„Ja, tu es“, drängte Johnathan.
Ich hatte ihm doch ausdrücklich verboten Dane anzufassen. Doch auch ich tat es, fühlte seine Wärme, ja fast Hitze und sah, wie Dane wieder reagierte. Mit bebenden Zuckungen eskalierte plötzlich sein ganzer Körper und bäumte sich auf. Seine Augen blieben geschlossen, sein Gesichtsausdruck bekam etwas Quälendes. So hatte ich mir das erste Erwachen in etwa auch vorgestellt. Dane befand sich in einem stark traumatisierten Zustand!
Johnathan sah mich erwartungsvoll und fordernd an. „Was ist das?“, fragte er ungläubig.
„Na, er reagiert!“ Was anderes fiel mir nicht ein. Ich ahnte die Gründe, blieb aber stumm. Ich näherte mich vorsichtig seinem Gesicht und flüsterte: „Dane? Hey, hier ist Jim. Blinzel mich mal an. Komm Junge. Blinzel mal. Zeig mir, dass du wach bist.“ Nichts passierte. Meine Ahnung wurde bitter. Dane war zweifellos ein Vergewaltigungsopfer, das sich in einer gegenstandslosen Angst gefangen hielt. Das typische Gefühl von Bedrohtsein nach einem Missbrauch lähmt diese Opfer regelrecht. Er wollte nicht berührt, nicht angefasst werden. Von niemandem.
Aber irgendwie war mir diese Reaktion zu extrem. Sie verbarg womöglich mehr als nur die Geschehnisse der letzten Nacht.
Viel später erfuhr ich erst, dass diese Nacht nur der Auslöser für alles Kommende und der Anfang einer Katastrophe war.
Ich sah mich jedoch außerstande, Johnathan über meine derzeitigen Vermutungen aufzuklären.
Hallo!, rief das Loch. Wo bist du?
Ich weiß nicht, antwortete Dane. Ich habe mich verloren.
Werden wir uns wiedersehen?, fragte das Loch.
Ich weiß nicht, antwortet Dane. Ich weiß nicht, was mit mir geschehen ist. Ich spüre etwas Warmes. Mir wird übel. Alles tut weh. Irgend jemand ruft meinen Namen. Ganz laut. Es ist eine Frau. Ich möchte die Augen öffnen, aber es geht nicht. Jemand tritt mich in die Rippen. Ich kann mich nicht rühren. Jemand fasst mich an. Ich kann mich nicht wehren. Ich kann mich nicht wehren! Ich kann mich nicht wehren!!! ICH KANN MICH NICHT WEHREN!!!!! NEIIIIN!!!!!
*
Um halb drei in der Nacht zeigte Dane erneut Anzeichen wach zu werden. Diesmal ohne Berührung. Ich war derzeit auf Station drei und versorgte andere Patienten.
Johnathan war inzwischen an Danes Bett eingeschlafen und wurde durch eine leichte Bewegung der Bettdecke wieder geweckt. Das ließ ihn sofort hochfahren. Er sah auf die Finger seines Freundes, wie sie sich um Leben bemühten. Sie zogen sich langsam zu einer Faust zusammen und öffneten sich wieder entspannt. Der Atem wurde schneller, und eine tiefe Kummerfalte malte sich auf Danes Stirn. Ja, die kannte er – die Kummerfalte. Johnathan lächelte erleichtert und griff wieder unbedacht nach Danes Hand. Das veränderte die Situation kolossal. Danes seichtes Erwachen wechselte unverzüglich in eine
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