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Die Schicksalsgabe

Die Schicksalsgabe

Titel: Die Schicksalsgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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aufgeregt gewesen. Außerdem war sie verliebt und sehnte sich nach den Zärtlichkeiten ihres Gatten.
    Sie bewunderte den Mann, den sie geheiratet hatte, rückhaltlos. Wie er sich für Fremde einsetzte, ungeachtet der Gefahr, in die er sich dabei begab! Er hatte es geschafft, sich heimlich des Leichnams von Rabbi Judah zu bemächtigen. Er hatte ihn zu Daniels Burg gebracht, damit Miriam und ihre Familie ihn fernab der Menschen draußen in der Wüste bestatten konnten.
    Ulrikas Gedanken schweiften ab, als sie Timonides durch das Lager schlurfen und dann in seinem Zelt verschwinden sah. Sie hatte versucht, mit dem Astrologen zu sprechen, ihn zu trösten. Aber im Gegensatz zu früher verharrte Timonides in Schweigen, starrte wie abwesend vor sich hin. Der Grund dafür waren zweifellos die Umstände von Nestors Tod. Weil sein Kopf von Pferdehufen zertrampelt worden war, waren auch keine Augen mehr gewesen, auf die Timonides die Münzen für Charon den Fährmann für die Überfahrt über den Styx hätte legen können. Wo war Nestors Seele abgeblieben?, hatte sich Timonides gefragt. War der arme Junge dazu verdammt, auf ewig in der Unterwelt zu verharren?
    Nur allzu gern hätte Ulrika ihre Gabe dazu verwendet, Timonides zu trösten. Wenn ihr doch nur Nestors Geist wie der von Rabbi Judah erschiene! Sie hatte mit diesem Wunsch meditiert, aber keinen Erfolg gehabt. Warum kamen bestimmte Geister zu ihr und andere wiederum nicht?
    Unvermittelt war ein erstickter Schrei zu hören.
    Er kam aus dem Zelt von Timonides, das wie unter einem Schlag schwankte. Ulrika eilte zum Eingang, rief den Namen des Astrologen. Aus dem Inneren drangen würgende Laute. Ulrika betrat das Zelt, riss entsetzt die Augen auf.
    Timonides hing an der Hauptstütze, mit einem Strick um den Hals. Seine Beine zuckten.
    Ulrika stürzte auf ihn zu. Rasch stapelte sie die Holzkisten, die er umgestoßen hatte, wieder aufeinander, kletterte darauf und packte ihn an den Beinen, stemmte ihn hoch, so dass sich der Druck der Schlinge lockerte. »Timonides!«, rief sie, »du musst den Strick lockern! Lange kann ich dich nicht mehr halten!« Die Kisten unter ihr wackelten bedrohlich.
    »Lass mich sterben …«
    »Zu Hilfe!«, schrie Ulrika. »So komm doch jemand zu Hilfe!«
    Zwei Sklaven stürmten herein, kräftige Männer mit breitem Kreuz. Sie griffen zu und befreiten den klapprigen Alten aus der Schlinge, fingen ihn auf, legten ihn auf den Boden. »Jetzt geht und sucht euren Meister«, wies Ulrika sie an. »Holt Sebastianus!«
    Sie kniete sich neben Timonides, schob einen Arm unter seine Schultern, erschrak, als sie unter seiner Kleidung nur Haut und Knochen spürte. Sein Gesicht war leichenblass, die bläulichen Lider über seinen geschlossenen Augen flatterten. »Warum, Timonides?«, fragte sie.
    Seine grauen Lippen bewegten sich leicht. »Nestor ist im Hades«, krächzte der Alte. »Ich kann ihn dort nicht alleinlassen … Ich muss zu ihm …«
    »Was für ein Unsinn«, sagte Ulrika barsch, obwohl ihr die Tränen in die Augen schossen. »Dein Sohn war unschuldig, und die Götter wissen das sehr wohl.«
    Aber Timonides rollte den Kopf von einer Seite zur anderen. »Lass mich zu ihm gehen. Nestor braucht mich …«
    Ulrika wiegte ihn sanft in ihren Armen. Ihre Tränen tropften auf sein Gesicht, das die Farbe von Spinnweben hatte. Weshalb wähnte er Nestor im Hades? Große Mutter, bitte hilf diesem Mann.
    Sie richtete den Blick auf Timonides’ dünnen Hals und sah seinen Puls wie eine Motte flattern, schwach und unregelmäßig. Es stand zu befürchten, dass er allein deshalb sterben würde, weil er nicht mehr leben wollte.
    »Lass mich gehen …«, flüsterte er.
    Aus seinen Augen sprach Resignation. »Ich habe mich in China mit Philosophen unterhalten. Ich habe Priester und kluge Männer kennengelernt. Ich habe Tempel besucht und zu den mächtigsten Göttern auf Erden gebetet, aber keiner kann mir sagen, wo Nestor ist.«
    »Er ist bei den Göttern«, sagte Ulrika beschwichtigend, »und freut sich, in der nächsten Welt zu sein.«
    »Nein … er ist im Hades. Und er braucht mich.«
    Die Zeltklappen öffneten sich, Licht flutete ins Innere. Sebastianus war zurück, hatte mehrere Sklaven bei sich. Der Galicier kauerte sich nieder. »Was ist vorgefallen?«
    »Er hat versucht, sich umzubringen.«
    »Er braucht einen Arzt.«
    »Es ist kein körperliches Gebrechen, das ihm zusetzt, sondern ein seelisches.«
    Sebastianus überlegte. Er kannte in der Stadt

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