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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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der Stirn stand.
    Der Student wollte seine Lippen befeuchten und griff nach dem Krug, der hier stand. Doch er verharrte in der Bewegung, denn auf der Oberfläche des Wassers hatte sich ein gekräuselter Kranz kleiner Wellen gebildet. Was war das? Er stampfte mit dem Fuß auf, und die Ringe im Wasserkrug verstärkten sich. Natürlich! Die Flüssigkeit zeigte jedes noch so winzige Beben des Bodens an. Dann stand er ganz still, um zu schauen, ob er mit seinen Bewegungen für die Kräuselung gesorgt hatte. Er wagte kaum zu atmen und stierte im Licht seiner Kerzenlaterne auf die Oberfläche im Krug. Erst glättete sie sich,
dann kehrte die Kräuselung zurück. Doch weder Bernhard noch er selbst hatten sich bewegt. Also musste jemand anderes die Erschütterungen verursacht haben, oder?
    Endlich vernahm Lucas auch einen fernen Laut. Er lauschte, doch in der Stille war bloß sein Atem zu hören. Ein Klopfen erklang, das der Student zunächst für einen dumpfen Hammerschlag hielt, der vielleicht von oben aus der Nachbarschaft des Kärntner Viertels kam. Doch bislang war von dort auch nichts herabgedrungen, die Entfernung war zu groß.
    Also horchte Lucas noch angestrengter, und tatsächlich - da war es wieder, das Klopfen. Danach reihten sich die Augenblicke zu einer Ewigkeit zusammen. Irgendwann - er wollte schon zu seiner Arbeit zurückkehren - erklang das Geräusch zum dritten Mal. Er hob die Laterne und drehte den Kopf ein wenig, um herauszufinden, aus welcher Richtung es kam. Er war sich nicht sicher, doch es wirkte so, als hätten die Laute ihren Ursprung rechts vom Gang.
    »Ich kann sie hören«, flüsterte Lucas aufgeregt. »Da ist etwas. Ich glaube, in diese Richtung«, er zeigte auf die Wand.
    »I komm scho!« Bernhard kroch in den Gang hinter Lucas und lauschte ebenfalls. Dem Studenten wurde dabei ein wenig flau im Magen - er hasste es, wenn etwas zwischen ihm und dem Ausgang stand, so dass er nicht jederzeit einfach hinauskriechen konnte. »I hör nix«, nuschelte Bernhard.
    »Aber da ist etwas«, flüsterte Lucas erneut. »Kann es sein, dass das von oben kommt? Kanonenschüsse vielleicht?«
    »Müscht scho verdammt laut sei«, sagte der Schwazer. Und sie hielten beide noch einmal inne. Ein, zwei vage Laute erklangen, bei denen Lucas den Bergknappen fragend anschaute. Schließlich erklang ein Geräusch, bei dem selbst Bernhard nickte. »Muscht verdammt gute Ohrn ham, Lucas«, murmelte er. »I hab wirkli nix vernommen.«

    Jetzt überschlugen sich Lucas’ Gedanken. Er hatte Recht behalten. Der übergelaufene Janitschar hatte sie nicht in die Irre führen, er hatte sie tatsächlich warnen wollen. In seiner Euphorie sprang der Student auf und stieß mit dem Kopf an die Decke. Für einen Augenblick sah er nur helle Lichtblitze. Der unerwartete Aufprall ließ ihn in die Knie gehen, der Kopf schmerzte dumpf, und er sah nichts mehr. Irgendetwas rieselte ihm auf den Rücken. Dann auf die Schulter. Sollte er etwa die Mine zum Einsturz gebracht haben?
    Lucas klammerte sich an seine Laterne, denn mittlerweile stürzten Erdbrocken auf ihn nieder. Den Brocken folgte Sand, der ihm den Atem raubte und in die Augen geriet. Er blinzelte hektisch, um wenigstens die Richtung ausmachen zu können, die ihn aus dieser dunklen, engen Hölle herausführen würde. Doch seine Augen tränten und schmerzten.
    Lucas schrie auf. Er wusste nicht mehr, wo rechts und wo links war. Er wandte sich um und wollte den Gang zurückkriechen, doch er stieß sich den Kopf an einer Wand. Die Enge raubte ihm beinahe die Luft zum Atmen. Er krabbelte blind die Wand entlang. Wieder schrie er auf und zog sich vorwärts, doch er wusste nicht, wohin. Er konnte nur beten, dass nicht in kürzester Zeit der ganze Gang einstürzte.
    Etwas berührte ihn an der Schulter, und Lucas zuckte vor Schreck zusammen. »Halt still, verdammt, Bürschlein«, knurrte Wilhelm Hofer.
    Lucas war noch nie so froh gewesen, dieses ›Bürschlein‹ zu hören. Er klammerte sich wie ein Ertrinkender an den Zimmermann, der ihn an den Armen packte und aus dem Erdreich herauszog. Bernhard leuchtete ihnen mit der Laterne. Endlich kam Lucas frei und fiel auf den festgestampften ebenen Boden des Kellerraumes.
    »Danke, Hofer!« Mit klopfendem Herzen drehte Lucas sich
auf den Rücken und atmete tief durch. Er war draußen. Und er war am Leben. Seine Lippen sandten ein Dankesgebet an den Herrgott.
    Doch mit der Welle der Erleichterung kam der Ärger. Die Bergknappen hatten gesagt, sie bräuchten

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