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Die Schicksalsleserin

Titel: Die Schicksalsleserin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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Anstrengungen hatten halten können. Fieberhaft wurden provisorische Palisaden aufgestellt, doch es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Osmanen Wien überrannt hatten. Jetzt musste jeder für sich selbst sorgen.
    Franziskus hatte gestern Morgen, als die Minen explodiert waren, einen so schlimmen Anfall gehabt, dass sie schon befürchtet hatte, er würde sich gar nicht mehr beruhigen. Sie hatte den Ofen der kleinen Küche der Kodrei noch stärker befeuert, damit er auf seinem Lager nicht fror.
    Madelin hatte oft darüber nachgedacht, sich und ihre Freunde ins Haus der Mutter in Sicherheit zu bringen. Immerhin hatte Mehmed versprochen, dass sie dort verschont bleiben würden, wenn die Stadt fiele. Doch der Osmane hatte sich auch nicht an sein Wort gebunden gefühlt, Anna freizulassen. Und sie wagte es nicht, Franziskus momentan durch die chaotische Stadt zu transportieren. Ihre Schwester war noch immer im Lager der Türken gefangen und starb sicher vor Angst. Sie war in der Hand des brutalen Vaters … Der Gedanke war schrecklich.
    Darüber hinaus hatte Madelin Lucas seit vier Tagen nicht zu sehen bekommen. Seit er sie beschuldigt hatte, das Trionfi-Spiel weitergegeben zu haben, wusste sie nicht, wo er schlief und aß oder wie es ihm ging. Möglicherweise lag er bereits tot an der Mauer, ohne dass sie etwas davon erfahren hatte. Sie bekreuzigte sich schnell und verbot sich diesen Gedanken.

    Und zu allem Überfluss hatte Madelin beim Henkersmann mehrfach vor verschlossener Türe gestanden, als sie mit Miro nach dem Aussätzigen gesucht hatte. Offenbar war der Scharfrichter geflohen, um sich und seinen Sohn zu schützen - oder der Spion hatte sie fortgebracht. Jetzt waren alle Spuren kalt, die sie noch zum Auftraggeber des Kartenspiels hätten führen können.
    Madelin wandte sich wieder Scheck und ihrer Arbeit zu. Der Lautenspieler, das braune lange Haar zum Zopf gebunden, saß am Tisch der Stube. Vor ihm lag eine Arkebuse. Sie hatten eben das Rohr gereinigt, jetzt nahm Scheck die Waffe am Lauf, senkte den Kolben auf den Boden und schüttete einen Teil des Inhaltes aus der Pulverflasche in den Lauf. »Erst das Pulver.« Er nahm eine lange Stange mit Verdickung am Ende und stopfte es fest. Dann steckte er eine mit einem Stofffetzen umwickelte Kugel hinein. »Sie muss festsitzen«, sagte er dabei. »Und wieder stopfen. Willst du die Waffe gleich scharf machen?«, fragte er und legte sie ihr auf den Tisch.
    Madelin zögerte. Sie zog den Hebel hoch, in den die Lunte eingespannt wurde, und betrachtete das Gerät. »Was muss man denn jetzt noch machen?«
    »Du klappst hier den Deckel der Pulverpfanne hoch. Dann füllst du Pulver auf die Pfanne und spannst die brennende Lunte ein. Wenn du schießen willst, ziehst du hier den Hahn. Die Lunte wird auf die Pfanne gedrückt und zündet das Pulver oben. Das wiederum zündet das Pulver unten im Lauf. Der Druck schleudert dann die Kugel hinaus. So hat man es mir zumindest erzählt«, sagte er. »Man muss verdammt vorsichtig mit den Dingern sein. Aber ich fühle mich wohler, wenn du bewaffnet bist.«
    »Ich mich auch. Lass sie uns so weit fertig machen, dass ich nur noch abdrücken muss«, meinte sie.

    »Du musst die Waffe dann allerdings vorsichtig handhaben. Das Pulver rieselt leicht heraus, wenn man die Waffe zur Seite kippt, und die Kugel kann trotz des Fetzens herausrollen, wenn man den Lauf nach unten hält.«
    »Ich lasse sie einfach auf dem Tisch liegen«, versprach Madelin. »Da ist sie griffbereit.«
    »Gut.« Scheck stand auf, griff sich seineWaffen - ein Schwert und einen Dolch - und seinen Umhang. »Pass auf dich auf, kleine Taube«, bat er und küsste sie auf die Stirn.
    »Und du auf dich«, sagte Madelin mit belegter Stimme. »Wenn du dich erschießen lässt, versohle ich dir den Arsch.« Der Widerspruch ihrer Aussage fiel ihr erst auf, als sie ihn ausgesprochen hatte.
    Der Lautenspieler grinste schief. »Ich werd’s mir eine Warnung sein lassen.« Dann ging er hinaus. Er hatte sich für eine Wache einteilen lassen.
    Ohne den Freund wirkte das Haus leer. Madelin sah auf den Tisch. Die Arkebuse würde dort bloß liegen. Was sollte da schon geschehen? Den Lauf richtete sie zur Außenwand, weg von den beiden Türen, die aus dem Eingangsbereich herein und in die Hinterzimmer mit Küche hinausführten.
    Ein Trupp polterte am Fenster vorbei. Madelin entzündete schnell die lange Lunte an einer Kerze und horchte in die Nacht hinaus, doch die Männer kamen nicht

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