Die Schiller-Strategie: Die 33 Erfolgsgeheimnisse des Klassikers (German Edition)
historische Abhandlungen – und arbeitet so beharrlich an seinem Lebenswerk, wenn auch stets mit schmaler Börse. Hingegen Goethe: Er hat schon in frühen Jahren immensen literarischen Erfolg, bekommt eine traumhafte und gut entlohnte Stellung am Weimarer Hof, macht eine bemerkenswerte Karriere, ist weithin geachtet. Doch der literarische Lorbeer des Dichters, er wird mit der Zeit welk. Das Publikum will längst anderes lesen, setzt auf neue Autoren wie Schiller …
Und so ist es ausgerechnet Goethe, der mit Mitte 30 seinem komfortablen Dasein entflieht, den goldenen Käfig verlässt, um in Italien, dem Land der Kultur und der Künste, eine freie Künstlerexistenz zu leben. Es ist eine frühe Form des „Sabbaticals“, die sich Goethe – ungebunden und ohne Familie – hier einfach selbst genehmigt. Er hatte in seinem Leben beruflich schon beinahe alles erreicht, was für einen Mann von seiner Geburt möglich war. Und doch wollte er mehr. Er fühlte, dass er künstlerisch stagnierte, sein literarischer Stern längst im Sinken begriffen war. Während Schiller, der unermüdliche Arbeiter, Stück für Stück an seiner Dichterkarriere baute, war Goethes frühere Künstlerexistenz längst der staatsmännischen Pose gewichen.
Goethe ist sich dessen sehr bewusst gewesen. Es ist die typische Midlife-Crisis, die ihn hier packt. Er fragt sich: Kann das schon alles gewesen sein? Er will sich neu beweisen – zeigen, dass er nicht zum alten Eisen gehört und kein Mann von gestern ist; will neue Kräfte tanken, seinen künstlerischen Anspruch erneuern. Und ein Stück weit auch ausbrechen aus dem goldenen Käfig, aus der Würde und Bürde seines Staatsamtes …
Uns ist diese Verhaltensweise bei Menschen zwischen 40 und 50 – übrigens verstärkt nicht nur bei Männern – sehr vertraut: Der eine macht den Motorradführerschein und kauft sich eine Harley. Ein anderer fängt mit Gleitschirmfliegen an, ein dritter plant vielleicht eine Weltumsegelung im eigenen Boot oder träumt von einem Weingut in Südfrankreich. Allen gemeinsam ist: Sie haben im Beruf viel erreicht, aber sie fragen sich, ob das schon alles gewesen ist. Ob das Leben nicht viel mehr zu bieten hat. Und ob sie bei aller glänzenden Karriere das Leben überhaupt zur Gänze geschmeckt haben …
Goethe hat seine ganz persönliche Antwort darauf gefunden. Er hat die freie Künstlerexistenz (freilich in gesicherten materiellen Verhältnissen) zur Genüge ausgekostet, sich neue Inspirationen geholt. Und Schiller? Er kam erst gar nicht in die Verlegenheit, in eine Midlife-Crisis zu fallen. Nicht zuletzt sein früher Tod hat ihn davor bewahrt, später in eine ähnliche – und bei Künstlern wahrlich nicht unübliche – Sinnkrise wie Goethe zu geraten.
Wie man die Midlife-Crisis meistert (oder zumindest weiß, mit welchen Methoden man ihr begegnen kann), können wir in diesem Fall also von Goethe lernen. Schiller zeigt uns in seinem Leben etwas anderes: Ehrgeiz, Pflichtbewusstsein, Verantwortungsgefühl. Die Verantwortung gegenüber seiner Frau, seiner größer werdenden Familie. Gewiss: Auch Schiller wäre gern nach Italien gefahren – stattdessen hat er nicht einmal die Schweiz, die Heimat Wilhelm Tells, selbst bereist. Aber Schiller hatte den „Masterplan“, bis zum 50. Geburtstag schuldenfrei zu sein, seine Familie versorgt zu wissen. Auf dieses Ziel hat er wie besessen hingearbeitet – bis zum bitteren und allzu frühen Ende. Er wusste: Viel Zeit bleibt ihm nicht mehr (siehe Kapitel „Treibe keinen Raubbau mit Deinem Körper“). Aber er hat es, wie so vieles, gleich maßlos übertrieben. Vielleicht hätte gerade deshalb auch ihm eine berufliche Auszeit, ein Sabbatical gutgetan.
Manchmal ist weniger mehr. Und möglicherweise wäre Schiller bei einer „kreativen Pause“ eine Alternative zu seinen mörderischen Arbeitsexzessen eingefallen. Auch wir sollten uns daher gelegentlich – und mit genügend Abstand zum Alltag – fragen, ob unser Lebensweg noch in den richtigen Bahnen verläuft. Ob wir genügend Befriedigung aus unserer derzeitigen Tätigkeit, unserer aktuellen Lebenssituation ziehen. Ob wir genügend innere Kräfte besitzen, künftige Herausforderungen zu meistern. Und falls nicht – wie wir neue Energien tanken können, möglicherweise unserem Leben eine völlig neue Richtung geben.
Die Antwort darauf wird bei jedem ganz individuell ausfallen, einen „Königsweg“ gibt es hier sicherlich nicht. Aber ein ganzes Künstlerjahr in Italien wie
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