Die schlafende Stadt
Fußballmannschaften.“
Eine Gruppe von Frauen passierte seine Delegation, befehligt von einem schreienden SS-Mann. Einige der Frauen waren noch sehr jung, zwei oder drei schienen höchstens fünfzehn zu sein.
Eine junge Frau sah auf und blickte ihn an. Ganz verstohlen und scheu war es nur. Dennoch blieb sie für einen Augenblick stehen.
Sie sah sehr jüdisch aus. Ihr elender Zustand hatte ihr aber die Schönheit nicht nehmen können. Mit ihren tiefblauen Augen unter den schwarzen Brauen, der langen, geraden Nase und den vollen, wundervoll geschwungenen Lippen wirkte sie ebenso intelligent wie vornehm, und ihr verstörter Blick traf Harald mit der ganzen Wucht ihrer Verzweiflung.
„Weitergehen, du jüdische Hure!“
Der überwachende Soldat hatte sofort ausgeholt und traf das Mädchen mit der ganzen Wucht seines Gewehrkolbens an der Schulter.
Sie stürzte und gab ein leises Stöhnen von sich und sah mit aufgerissenen Augen gequält auf ihren Peiniger.
„Hier wird nicht gegafft!“ schrie der Kerl. Er trat ein paar Mal zu.
„Aufstehen, du Sau! Oder soll ich nachhelfen?“
„Lassen Sie das bleiben!“
Harald schrie nicht, aber sein Schreien in seinem Inneren verwandelten seine deutlichen Worte in die Schärfe blanken Stahls.
Der SS-Mann sah kurz zu ihm und lachte, als hielte er Haralds Worte für einen Witz. Er trat zu der im Staub liegenden Frau und setzte an, ihr mit dem Gewehrkolben den Schädel zu zerschmettern.
„Sie sollen das bleiben lassen, Soldat!“
Der Kerl kümmerte sich nicht um Haralds Befehl. Dann stieß er zu. Er traf sie mit Wucht auf ihren Oberarm, den sie schützend vor das Gesicht gehalten hatte. Sie schrie vor Schmerz.
Harald trat vor.
„Sie sollen aufhören, Mann!“
Harald hatte seine Stimme ganz gegen seine sonstige Gewohnheit zu einem brüllenden Befehl gewandelt. Der Soldat war aber so mit seinem Hinrichtungswerk beschäftigt, dass er zum zweiten Mal ausholte.
Harald zog seine Pistole und schoss. Der Kopf des Sadisten flog nach hinten und ein dünner Strahl roten Inhalts spritzte aus seinem Schädel. Er fiel um wie ein Mehlsack. Seine Gliedmaßen zuckten noch ein paar Mal. Eine große Blutlache breitete sich auf dem Boden aus.
Harald sah mit hasserfüllter Verachtung auf den Kadaver. Es war ihm nicht mehr zumute, als habe er einen Käfer totgetreten.
„Was erlauben Sie sich!?“
Harald hörte das Klicken entsicherter Gewehre. Er wandte sich um, ohne sich weiter darum kümmern. Das schöne Mädchen kauerte auf dem Boden und zitterte lautlos. Harald reichte ihr die Hand. Sie ergriff sie zögernd. Sie stand auf und taumelte schwer atmend zu den anderen Frauen.
Harald hatte sich nicht eine Sekunde schneller bewegt als sonst.
Harald sah dem Lagerkommandanten ungerührt in dessen verkniffenes Gesicht und sah geringschätzig auf die Waffen, die auf ihn gerichtet waren.
„Was für eine Art von Disziplin soll das hier sein?“ zischte Harald ihn an. Seine tiefe Stimme war leise, gefährlich leise, und hatte jenen metallischen Klang, der so vielen Angst machte.
„Sie ... Sie haben ...“
„Ich habe dreimal einen Befehl erteilt, und Ihre Wache hat ihn dreimal ignoriert. Wissentlich ignoriert. Und Sie – Sie! – haben den Mann gewähren lassen. Ist Ihnen das klar, Hauptsturmführer? Was für eine Art von Führung ist das hier eigentlich?“
Erst jetzt merkte der Kommandant, dass nicht dem lästigen Gast, sondern ihm ein Fehler unterlaufen sein könnte. Sein Gesicht wurde sofort wieder ängstlich.
„Ich ... er wollte ...“
„Es interessiert mich einen Scheißdreck, was er wollte! Er hat das zu wollen, was sein Vorgesetzter befiehlt. Ist Ihnen das etwa neu?“
„Selbstverständlich nicht!“
„Lassen Sie die Schweinerei hier wegräumen und lassen Sie uns fortfahren“, sagte Harald. „Ich hoffe, Sie haben Ihren Laden ansonsten im Griff!“
Harald wurde seitdem von Gespenstern heimgesucht. Er sah in seinen fiebrigen Visionen Horden von grinsenden, schwarzgekleideten Irren vor sich, die auf andere einstachen, um sich schossen, zutraten, nur um selbst auf einen gewaltigen Abgrund zuzumarschieren. In diesem Abgrund lagen tausende von zerschossenen, zerschundenen Leichen. Die Massen stürzten in den Schlund und brachen sich das Genick oder versanken noch lebend in jenem Sumpf von verwesendem Fleisch, erst jetzt begreifend, was ihnen widerfuhr. Zitternd und mit kaltem Angstschweiß bedeckt erwachte er.
Was für einen Weg hatte er sich aufzwingen lassen! Er, der
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