Die schlafenden Hüter - Das Marsprojekt ; 5
spähte hinaus. Komisch, die Sonne stand schon tief über dem Horizont, würde in ein paar Minuten untergehen …
»Tja, wir sind ein ordentliches Stück nach Osten geflogen«, meinte Dr. Spencer, der Urs’ Verblüffung bemerkt haben musste.
Jeder schien ihn heute belehren zu wollen. Urs griff nach seinem Helm, setzte ihn auf und reihte sich in die Schlange vor der Schleuse ein. Sie waren hier im Capri Chasma, so viel hatte er durchaus mitbekommen, eine areologische Formation am Ostende der Valles Marineris. Vor zwei Monaten hatte eine Expedition, an der auch Carl teilgenommen hatte, hier die Überreste zerstörter Gebäude gefunden und eben die geheimnisvollen »gläsernen Höhlen«.
Urs sah sich draußen erst mal um. Eindrucksvoller Ort, das musste man zugeben. Sie waren am Fuß eines geröllübersäten Hügels gelandet, der steil aufwärts führte bis zu einer ungeheuren Felswand, die in den tiefgrauen Himmel ragte, kilometerhoch, wie es schien. Auf der anderen Seite erstreckte sich eine schier endlose Ebene, übersät mit scharfkantigen Steinen, die lange, bizarre Schatten warfen. Eine erschöpft wirkende Sonne berührte weit im Westen gerade den Horizont, flutete den weiten Talgrund der Valles Marineris mit ihrem mattgelben Licht.
»Dort oben ist es«, hörte er Carl rufen.
Urs blickte in die Richtung, in die Carl zeigte. Da war etwas; eine dicke Felsschicht, die klobig vorstand, die eigentlich eher aussah wie eine halb von Geröll verschüttete Tiefgarage.
»Die Stunde der Wahrheit«, sagte Professor Caphurna.
Es waren wenigstens zwei Kilometer Fußmarsch bis zu der Stelle, aber unter der niedrigen Schwerkraft des Mars brachte einen das nicht aus der Puste. Urs sah die ganze Zeit nicht, worauf sie eigentlich zumarschierten, aber Carl und Dr. Spencer, die vorangingen, schienen genau zu wissen, wohin sie wollten. Während sie unterwegs waren, wurde es dunkel, sodass er seinen Helmscheinwerfer einschaltete.
Und dann waren sie endlich da, versammelten sich vor einer dunklen, im Licht ihrer Lampen glasig schimmernden Wand. Caphurna hieb mit der Faust mehrmals dagegen und sagte dann: »Also, fürs Protokoll – für mich ist die gläserne Wand undurchdringlich, obwohl ich das Artefakt bei mir trage. Sie zeichnen doch auf, Jonathan, nicht wahr?« Er fasste in eine der Taschen seines Raumanzugs, holte das Artefakt heraus und reichte es Elinn. »Schauen wir, ob du mehr Erfolg hast.«
Elinn nahm das flache, steinerne Gebilde entgegen, schien einmal tief Luft zu holen, dann wandte sie sich der gläsernen Barriere zu. Streckte die Hand aus, um sie zu berühren.
Es war, als fasste sie in einen dunklen See, der bis gerade eben spiegelglatt und ruhig dagelegen hatte und nun rings um ihre Hand kleine Wellen schlug, die sich rasch ausbreiteten. Doch es waren nicht nur Wellen, die sich ausbreiteten, es war eine Öffnung, die sich mit einer eleganten, schwingenden Bewegung vor ihnen auftat, als zöge jemand einen Vorhang beiseite.
»Bitte sehr«, sagte Elinn mit unüberhörbarem Triumph in der Stimme.
George W. Carver hatte nur gelacht, als man ihn mit den gewonnenen Erkenntnissen konfrontierte. »Glückwunsch!«, hatte er gerufen. »Dann wissen Sie jetzt ja, wie alles ausgehen wird. Denn verhindern – verhindern können Sie es nicht mehr!«
Danach hatte er sich erheblich auskunftsfreudiger gezeigt. Geradezu entspannt beantwortete er die Fragen, die man ihm stellte; man konnte fast glauben, eine gemütliche Unterhaltung zu führen anstatt eines polizeilichen Verhörs. Nein, es gebe nicht den einen Anführer, das entspreche nicht dem Wesen der Heimwärtsbewegung; es sei ein vierzehnköpfiges Gremium verantwortungsbewusster Männer und Frauen aus aller Welt, das die wesentlichen Entscheidungen treffe.
»Und diese Leute haben sofort nach der Entdeckung der blauen Türme den Plan gefasst, sie zu vernichten?«, fragte Bjornstadt. »Nach Jahrtausenden, in denen sich die Menschheit gefragt hat, ob es Leben geben mag da draußen im All, in denen wir uns danach gesehnt haben zu erfahren, ob wir allein sind im Universum, taucht der erste handfeste, unwiderlegbare Beweis auf, dass es noch jemanden außer uns geben muss – und das Erste, was Ihren ach so verantwortungsvollen Anführern einfällt, ist, ihn zu vernichten?«
»Ach was«, versetzte der inzwischen rechtmäßig seines Amtes enthobene Sicherheitsminister. »So war es natürlich nicht. Es ging darum, eine Option zu haben, auch im ungünstigsten Fall handlungsfähig
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