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Die Schlaflosen

Die Schlaflosen

Titel: Die Schlaflosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Kolb
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werden Sie heute Nacht besonders gut schlafen, meint Sandow. Vielleicht macht der Wein ja gesund? Vielleicht ist das der Zauber, den Sie brauchen?
    Schön wär’s …
    Die Moll denkt nach. Da fällt ihr Blick auf eine Tür, eine niedrige Holztür am Ende des Weinkellers.
    Sagen Sie, kann man da weiter?
    Ach Gott, das ist ein Verlies – ziemlich ungemütlich.
    Sandow hat schon die nächste Flasche in der Hand. Ob sie nicht einen Bordeaux probieren wolle. Auch der sei etwas Besonderes. Etwas Paradiesisches – und das sei nicht übertrieben. Auch hierfür habe Waechter das Etikett gezeichnet. Der Wein heißt ›Les enfants du paradis‹. Er, Sandow, könne ihr versichern, so einen habe sie noch nie getrunken. Es sei, als schlüpfe einem der liebe Gott in roten Samthosen durch die Kehle. Ob sie mal einen Schluck davon …?
    Die Moll will.
    Auf dem Etikett ist ein Pantomime zu sehen, ein feingesichtiger, weiß geschminkter, in einem weiten, flatternden Kostüm. Er hüpft daher mit bewegten Armen, die wie Flügel aussehen.
    Die Moll nimmt einen Schluck, behält ihn im Mund, zieht die Zunge über den Gaumen und lässt sie ein bisschen in der Flüssigkeit baden, dann probiert sie einen zweiten Schluck und noch einen dritten, aber sie kann nichts dazu sagen. Man könnte ihr jetzt auch den billigsten Supermarktwein einschenken, sie wäre nicht in der Lage, ihn von diesem hier zu unterscheiden. Es fällt ihr einfach nichts dazu ein.
    Verzeihen Sie, aber die Tür da hinten, ich würde gern …
    Sandow sieht auf die Uhr. Wirklich? Es ist nur ungemütlich, es ist eine Höhle, und es ist sehr dunkel.
    Aber die Moll drängt weiter, jetzt umso mehr.
    Kennen Sie eigentlich den Film?
    Welchen Film?
    â€ºLes enfants du paradis‹, diesen französischen Film, auf den sich der Name des Weins bezieht.
    Muss man den kennen?
    Keine Sorge, wahrscheinlich sind Sie zu jung dafür. Für mich war es der schönste Film überhaupt.
    Und die Moll hört sich die rührende Geschichte von Baptiste und Garance an, aber es langweilt sie. Diese Alten mit ihrer Romantik, denkt sie.
    Sandow sieht erwartungvoll zu ihr hoch. Sie blickt auf seinen weißen Scheitel, über den sich ein paar unordentliche Strähnen verirrt haben, und fragt sich, was er eigentlich von ihr erwarte. Hat er etwa gedacht, sie flirte mit ihm, vorhin, an der Treppe?
    Sie sei nicht sehr gebildet in diesen Dingen, es sei eine rührende Story, so wie sie sich anhöre. Nur müsse sie gestehen, dass sie schrecklich neugierig sei, zu sehen, wie es hinter der Tür da aussehe.
    Ach, das ist eine Geschichte für sich. Und außerdem, oben bei den Gästen sei die Hölle los und es gehe eigentlich nicht, dass er sich hier mit ihr so lange herumtreibe. Aber wenn sie unbedingt wolle … sie könnten es ja kurz machen. Einen Blick bis zu einer bestimmten Stelle, und dann zurück.
    Am liebsten möchte er jetzt seinen Kopf auf ihren weichen Rücken legen, auf das dunkel duftende Kleid.
    Haben Sie Kinder?
    Die Moll hat gemerkt, was er denkt, und sie will der Sentimentalität eine Grenze setzen. Familie ist ein grenzziehendes Thema, verbindend und zugleich so allgemein, dass es Distanz schafft, wenn man es in einem bestimmten Konversationston anschneidet. Sandow weiß nicht, wie alt die Moll ist, aber sein Sohn dürfte etwas älter sein als sie.
    Ich habe einen Sohn, der in den Staaten lebt. Ich habe ihn seit Jahren nicht gesehen. Und nach einer Pause. Aber warum wollen Sie das wissen?
    Die Moll zuckt die Schultern – einfach so, es interessiert mich eben.
    Der Schlüssel liegt auf einem Steinvorsprung über dem Türsturz, Sandow schließt auf, ein kühler Höhlengeruch kommt ihnen entgegen. Die Moll kann kaum etwas erkennen.
    Ich hab’s Ihnen ja gesagt. Wollen Sie trotzdem weiter?
    Sie nickt entschieden und folgt ihm. Der Gang ist sehr schmal und so niedrig, dass selbst Sandow sich klein machen muss. Und so gehen sie gebückt hintereinanderher, halb krauchend.
    Das hier sei eine Art Labyrinth, ein unterirdischer Schutzbau aus dem Dreißigjährigen Krieg, zum großen Teil noch verschüttet, bis heute wisse man nicht, wie weit er reiche. Aber die Gänge unter dem Anwesen des Landguts seien heute frei, und es gäbe eine Menge Geschichten darüber zu erzählen.
    Etwa die von den drei Männern, die aus dem Lager Sachsenhausen

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