Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
Vom Netzwerk:
abwickeln konnten, da sie ihrerseits niemanden berühren durften. Sie forderten von mir einen Ausgleich, da es meine Aufgabe als Wirt gewesen wäre, sie vor solchem Ungemach zu bewahren. Das Unglücksweib hat mich sechs Doppeldrachmen gekostet, dazu kommt der Vertrauensverlust bei meinen Stammgästen, die sicher nicht mehr so bald bei mir einkehren werden.«
    »Und diese Summe forderst du nun von der Verursacherin zurück?«, fragte Philipp.
    »So ist es, Herr. Sechs Doppeldrachmen und noch einmal die gleiche Summe für die Verluste, die mir noch bevorstehen.«
    »Und was sagt die Verursacherin zu dem Geschehen?«
    »Ha, sie stellt sich unwissend, Herr. Sie sagt, sie habe nicht gewusst, dass sie unrein sei, wenn sie ihre Blutung habe. Dieser Bursche da, ihr Mann, hat mir lächerliche zwei Doppeldrachmen gegeben. Dafür konnte ich gerade mal die Reinigung aller Kleidungsstücke meiner Gäste und meiner Familie bezahlen.«
    »Und wo ist sie jetzt?«
    Der pummelige Mann trat einen Schritt vor und sprach, den Kopf gesenkt: »Wir konnten die Reise nicht zahlen, Herr, da ich die beiden Doppeldrachmen, die ich besitze, bereits diesem Mann gegeben habe. Mich hat er auf seinem Wagen mitgenommen, damit ich vor dich treten kann, meine Frau jedoch …«
    »Sie ist schon wieder unrein«, erklärte der Jude. »Ich konnte sie also unmöglich auf meinen Wagen lassen.«
    »Stimmt denn das, was der Wirt erzählt hat?«, fragte Philipp den Nichtjuden.
    »Ja, Herr. Meine Frau und ich wussten wirklich nicht, was es für einen Juden bedeutet, wenn die Frau blutet. Bei uns ist das nicht von Belang.«
    »Nicht von Belang!«, rief der Wirt. »Wo gibt’s denn so was? Das ist doch das Selbstverständlichste von der Welt, wenn … »
    »Wer die eigenen Traditionen respektiert haben möchte, muss auch die der anderen achten«, unterbrach Philipp den aufgebrachten Wirt. »Das gilt für beide Parteien.«
    Philipp lehnte sich in seinem Stuhl zurück, und Salome bemerkte, dass er sie mit seinem üblichen, undurchschaubaren Ausdruck anblickte. Auch nach sechs Ehejahren konnte sie seiner Mimik nicht entnehmen, ob er guter oder schlechter Laune war, ja, manchmal dachte sie, dass Philipp überhaupt keine Launen hatte. Mit immer gleicher Stimme und Perfektion bewältigte er die täglichen Verpflichtungen, zu denen auch der Umgang mit ihr gehörte. Er sprach nicht anders mit ihr als mit seinen Ministern, höflich, monoton, ohne böses Wort und ohne gutes. Selten einmal berührte er sie, und wenn, dann konnte sie nicht unterscheiden, ob er in diesem Moment ein kostbares Juwel in ihr sah, das er ehrfürchtig bewunderte, oder ein schuppiges Reptil, das er in einer Mischung aus Neugier und Vorsicht betastete, so unbestimmbar waren seine Gesten.
    Bisweilen allerdings hatte sie das Gefühl, dass er ihr in einer anderen Sprache versteckte Mitteilungen darüber machte, was er von ihr hielt und was er für sie empfand. So hatte er vor einiger Zeit an einer Ehefrau, die mit einem anderen Mann geschlafen hatte, die Steinigung verhindert. Sie saß neben ihm, als er dieses Urteil fällte, und gewann den Eindruck, er denke dabei an sie und ihr schreckliches Erlebnis bei Harithas Tod, von dem sie ihm einmal erzählt hatte. Aber er sah sie nicht an und sprach auch nie über den Fall und das milde Urteil. Und er würde es auch dieses Mal nicht tun, obwohl er ihr wieder einen Wunsch erfüllte.
    Seit ihrer Eheschließung bedrängte sie ihn, mehr für die Verständigung seiner verschiedenen Volksgruppen zu tun. Die Tetrarchie war erst seit fünfzig Jahren Siedlungsgebiet von Juden, seit Herodes mit Billigung des römischen Imperators Augustus den Jordan überschritten und das Gebiet nach kurzem Feldzug annektiert hatte. Nur ein Fünftel der Einwohner waren Juden, die übrigen vier Fünftel setzten sich aus Griechen, Nabatäern und Syrern und vor allem aus alteingesessenen Semiten anderer Stämme als des Stammes Juda zusammen. Sie lebten nebeneinander her, doch sie wussten nicht viel voneinander, und jeder hegte seine spezielle Voreingenommenheit gegen die anderen.
    Salome jedoch waren Vorurteile und Glaubenshierarchien zuwider. Sie war als Kind gering geschätzt worden, bloß weil sie ein Mädchen war, und sie hatte nur mit Sturheit und ein wenig Glück mehr erreicht, als es üblich war. Sie war die Freundin Harithas geworden, einer Nabatäerin, die faszinierender war als alle Frauen, die sie zuvor kennen gelernt hatte. Pontius Pilatus, der Römer und Besatzer, war trotz

Weitere Kostenlose Bücher