Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome
glaubte, ersticken zu müssen, und vermutete, dass ihr ganzer Körper zitterte, aber Philipp schien nichts weiter aufzufallen.
»Das stimmt allerdings. So gerne ich die beiden verpflichtet hätte, für die Säule müssen wir uns etwas anderes einfallen lassen.«
Er sah sie erwartungsvoll an, doch das Letzte, worüber sie nun sprechen wollte, war diese dumme Säule. Sie konnte sich überhaupt nicht mehr konzentrieren, die Gedanken schossen ihr wild durch den Kopf, mischten sich mit Hoffnungen, Vermutungen, Befürchtungen, Fragen … Vor allem Fragen. Sie musste mit diesem Schreiber sprechen, auf der Stelle. Doch der war bemüht, Philipp andere Vorschläge zu unterbreiten, redete von einem jüdischen Baumeister in Jerusalem, einem griechischen im nahen Tyrus, einem römischen in Caesarea, und je länger er sprach, desto zorniger wurde sie insgeheim. Wann würde diese entsetzliche Besprechung endlich enden?
»Vielleicht sollten wir …«, drängten die Worte aus ihr heraus, mitten in eine Bemerkung Philipps hinein.
»Ja?«, fragte er.
Sie nahm alle Kraft zusammen, um unbefangen zu lächeln. »… ein anderes Mal darüber sprechen«, vervollständigte sie.
Philipp sah sie unschlüssig an. Er war es nicht gewöhnt, törichte Ratschläge von ihr zu bekommen. »Die Zeit drängt«, wandte er ein. »Das hast du eben selbst gesagt. Wir können nicht länger mit der Entscheidung warten, wer die Säule bauen soll.«
Er wandte sich wieder an den Schreiber und setzte die Besprechung fort. In diesem Moment hasste sie diese Wüste und die ganze Tetrarchie, sie hasste das Jubiläum und die Säule, aber am schlimmsten war, dass sie ihn hasste, ihren Mann, der ihr gar nichts getan hatte. Sie erschrak vor ihrem eigenen Gefühl, konnte es jedoch nicht leugnen.
Plötzlich griff Philipp sich wieder an die Stirn und taumelte für einen kurzen Augenblick. Der Schreiber stützte ihn an der einen Seite, Salome an der anderen. »Siehst du, es geht dir nicht gut«, sagte sie vorwurfsvoll. »Du bist völlig überarbeitet, darum wollte ich auch die Besprechung beenden. Die Säule muss warten, du ruhst dich jetzt aus.«
Sie rief einige Diener herbei und sah zu, wie sie Philipp in das fertig aufgebaute Fürstenzelt begleiteten. Sie selbst ging nicht mit ihm. Sie schloss die Augen und atmete mehrmals tief die heiße, trockene Wüstenluft ein.
Sie wandte sich dem Schreiber zu. »Komm in mein Zelt«, befahl sie. »Jetzt gleich.«
»Er ist es«, flüsterte sie, kaum dass der Schreiber das Zelt verlassen hatte. Wer sonst konnte sich rühmen, Rom und Jerusalem gesehen zu haben? Wer sonst verstand sich nicht nur auf das Entwerfen von Bauzeichnungen, sondern auch auf das Zeichnen von Porträts? Die weiteren Informationen des Schreibers waren nicht umfassend gewesen – er wusste nichts über Alter und Aussehen des Baumeisters -, doch sie genügten Salome, um Gewissheit zu bekommen: Es konnte nur Timon sein.
Sie ließ sich auf die Schaffelle fallen, die in mehreren Schichten auf dem Boden ausgebreitet waren, und fasste mit beiden Händen in die warme, weiche Wolle. Das Zelt war behaglich eingerichtet. An den Stangen, über die die Wände aus Häuten gespannt waren, hingen dunkelblaue und silberfarbene Schleier und teilten das runde Zelt in einen Schlaf- und einen Empfangsbereich. Ein gutes Dutzend Öllampen flackerte auf kleiner Flamme im Abendwind der Wüste und verbreitete zusammen mit den Zedernholzmöbeln einen angenehmen Duft. Jeden Morgen, wenn der Tross weiterzog, wurde all das eingepackt und jeden Abend von den Soldaten und den Dienerinnen exakt so wie jetzt wieder aufgebaut. Diese Beständigkeit zumindest hatte Salome immer gebraucht, wenn sie schon kreuz und quer durch üppige wie unwirtliche Gegenden zog. Doch das Reisen hatte ihr nie etwas ausgemacht, im Gegenteil. Philipp hatte ihr mehrmals angeboten, in Bethsaida zu bleiben, doch was hätte sie dort mit sich anfangen sollen! Sie war schon bald nach ihrer Hochzeit von einer aufreibenden Ruhelosigkeit befallen worden, und nur die täglichen Mühen der Wanderschaft, die immer neuen, wechselnden Eindrücke in Städten, Tälern und Wüsten sowie die Beteiligung an den Regierungsgeschäften lenkten sie ab – erfüllt war sie davon nicht.
Die Leere war nun vorbei. Sie streckte die Arme von sich, als wolle sie durch das Zeltdach zu den Sternen greifen, und räkelte sich auf dem Fell. Und dann lachte sie. Sie konnte nichts dafür, sie musste kichern. Sie spürte eine Freude wie schon
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