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Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome

Titel: Die Schleier der Salome - Walz, E: Schleier der Salome Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric Walz
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derart hündisch verhalten und Philipp derart unauffällig, dass ihre Thronfolge nicht ausgeschlossen war. Herodes war ja auch nicht mehr Herr seiner Sinne gewesen, als er dieses letzte Testament diktierte. Hatte er vielleicht doch Theudion ernannt, gerade wegen dessen Chuzpe, dieser dummdreisten Ehrlichkeit? Archelaos schwirrte der Kopf.
    Als er sich abwenden wollte, um den Hügel zu verlassen, ertönte Akmes kräftige Stimme über den Köpfen der Versammelten.
    »Ihr Freunde und Bewunderer unseres verstorbenen Königs, hört mich an.«
    Sofort wandten sich ihr alle zu und staunten über die neuerliche Verletzung des Zeremoniells.
    »Lasst uns nicht von hier gehen, ohne dem nächsten Herrscher zu huldigen, dem Nachfolger Herodes des Großen, Blut von seinem Blut.« Kein einziger der Anwesenden blickte ihr nicht auf die Lippen, als sie verkündete: »Es ist der Wille meines Bruders gewesen, dass sein Sohn sein Werk fortführt. Jubelt ihm zu, Freunde, und erweist ihm Achtung: Archelaos.«
    Für einen Moment regte sich nichts und niemand in der Säulenhalle des Herodeions. Es war üblich, dass die Verwahrer des Testamentes, die Priesterschaft und ihr Oberhaupt, den Willen des Verstorbenen proklamierten, und die Leute brauchten einen Atemzug, um sich auf die neuartige Situation einzustellen. Doch dann begannen Einzelne, dem Wunsch Akmes zu folgen, und ließen Archelaos hochleben. Weitere schlossen sich an, und schließlich gab es kaum jemanden, der den Namen des neuen Herrschers nicht mit seinen Rufen ehrte. Archelaos selbst fiel eine Last von den Schultern, und er hob seine Arme und dankte den Menschen.
    Akme hatte – niemand wusste, woher – plötzlich den goldenen Stirnreif in Händen, das Symbol der Königsherrschaft, und streckte ihn Archelaos entgegen. Er wollte auf sie zugehen, den Reif nehmen und ihn aufsetzen, doch im letzten Moment legte sich von hinten mahnend eine faltige Hand auf seine Schulter. Sie gehörte Nikolaos. »Zu früh, Archelaos«, raunte er ihm gerade laut genug zu, damit er den allgemeinen Jubel durchdrang.
    Archelaos erschrak. »Glaubst du etwa, sie spricht nicht die Wahrheit?«
    Nikolaos’ alte Augen blickten zu Akme hinüber, als könne er ihre Gedanken lesen. Dann sagte er: »Sie würde es nicht verkünden, wenn es einen Gegenbeweis gäbe. Wenn du mich so fragst: Ja, Herodes hat dich zu seinem Nachfolger ernannt.«
    Archelaos war zum zweiten Mal erleichtert. »Nun also«, seufzte er froh. »Warum hältst du mich dann zurück?«
    Nikolaos vergrub die Hand in seinem langen weißen Bart, so wie es Archelaos schon tausendmal beobachtet hatte. Sein alter Lehrer war ein Grieche aus dem syrischen Damaskus, weshalb ihn alle auch Nikolaos von Damaskus nannten. Seine detaillierten Kenntnisse der Regionen und Völker zwischen Athen und Alexandria hatten ihn zum Berater des Imperators Augustus für die Angelegenheiten des Ostens gemacht und später dann auch zum Erzieher für jenen Sohn des Herodes, der einige Jahre in Rom verbracht hatte. Anfangs mochte Archelaos den Alten überhaupt nicht. Nikolaos war Philosoph und Historiker, und das war ein Menschenschlag, mit dem Archelaos nichts anfangen konnte. Philosophen waren seiner Meinung nach viel zu ernst und ausgewogen, sehr genau und deshalb sehr anstrengend. Philosophen waren bestens geeignet als Erzieher für künftige politische Träumer, aber doch nicht für ihn . Er wollte weder ein magnus , ein Großer, noch überhaupt ein politischer Mensch werden, sondern er wollte leben . Das war doch wirklich nicht zu viel verlangt. Doch Nikolaos brachte ihm rasch bei, dass er, wenn er weiterleben wolle, entweder ein Mindestmaß an politischem Geschick erlernen oder einen entsprechend gebildeten Vertrauten als Ratgeber haben müsse. In Anbetracht der Hinrichtungen seiner Brüder erschien ihm dieser Rat absolut vernünftig, und er entschied sich für die zweite Möglichkeit. Seither blieb Nikolaos – mit Genehmigung des Augustus – an seiner Seite. Der alte Mann war für ihn ein unverzichtbarer Ratgeber geworden, ein Lotse in den gefährlichen Fahrwassern des Hofes.
    Nun war Herodes tot, das Schlimmste war überstanden. Er würde regieren, alles war von jetzt an leichter. Schon bald würde er Nikolaos danken, ihn ehren – und entlassen. Für die täglichen Pflichten eines Herrschers gäbe es genug Beamte. Der Alte sollte sich in seinen verdienten Ruhestand begeben, er sollte nach Rom gehen, wo sein Sohn lebte, seine halb fertige Vita des Augustus zu Ende

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